Interview Hamid Hassani

„Wann bin ich kein Flüchtling mehr?“

Hamid Hassanis offizielles Herkunftsland ist Afghanistan, aufgewachsen ist er aber im Iran – als Flüchtling. Als Flüchtling kam er auch vor fast 8 Jahren nach Deutschland. Ist er angekommen?  Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Refugio München report: Ihre Eltern sind mit Ihnen als Baby vor den Taliban in Afghanistan nach Iran geflohen – wie war Ihre Kindheit?

Hamid Hassani: Da wir die gleiche Sprache, Religion und Aussehen haben, sind wir im Iran nach Außen eigentlich alle gleich. Als Kind hat es angefangen, dass ich gemerkt habe, dass ich anders bin. Ich habe aber nicht verstanden, warum. Warum ich zum Beispiel in der Schule anders behandelt wurde oder warum die Nachbarn komisch waren. Mein Vater sagte immer, wir sind Afghanen und müssen deshalb aufpassen und bei Streit schnell weglaufen. Man denkt, wo man aufgewachsen ist, gehört man hin, aber ich gehörte nicht zum Iran und Afghanistan kenne ich gar nicht.

Wie sind Sie als Jugendlicher und junger Erwachsener damit umgegangen?

Wenn Afghanen beleidigt oder angegriffen wurden, habe ich versucht, sie zu beschützen. Probleme hatten vor allem die, denen man es mehr angesehen hat, dass sie aus Afghanistan sind. Es gab Fälle, wo ich oder andere Afghanen angegriffen wurden. Dann gibt es keine Diskussion, sondern dann muss man als erster zuschlagen, sonst schlägt der andere zu.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Als Jugendlicher dachte ich, ich könnte als Teil der Gesellschaft etwas bewegen. Ich wollte die Welt verbessern. Im Iran geht das aber nicht, da hast du keine Chance, schon gar nicht ohne Geld. Ich konnte nicht über mein Leben bestimmen und ich wollte nicht, dass meine Kinder die schrecklichen Dinge erleben müssen, die ich erlebt habe. Dass sie unterwürfig aufwachsen müssen. Ich wollte nicht mehr unterdrückt werden. Du bist kein Mensch als Afghane im Iran. Es gab viele schreckliche Erlebnisse, auch mit der Polizei. Darüber fällt es mir schwer zu sprechen.

Flaggen

Wollten Sie konkret nach Deutschland oder nur weg aus dem Iran?

Zuerst wollte ich nach Ankara. Dort wurde mir gesagt, Griechenland ist besser, da konnte ich aber nicht leben, wir hatten kein Geld und nichts zu essen. Nach sechs Wochen in Griechenland kriegst du Angst, da verschwinden Menschen einfach, manche sterben und keiner bekommt das mit. Ich wurde dort auch attackiert, sie haben Hunde auf uns gehetzt. Dann hat mir jemand geholfen, nach Deutschland zu kommen.

Wie sind Sie hier aufgenommen worden?

Ich bin in Frankfurt angekommen. Dann war ich in Gießen in einem Camp. Ich habe da überhaupt nicht verstanden, was mit mir passiert. Dann sollte ich nach München, obwohl ich eine Tante in Frankfurt hatte. Das wollte ich nicht und habe es auch nicht verstanden. Dieses Hin und Her und die Leute entscheiden einfach über dich, ich hatte Angst.
Dann musste ich mit dem Zug nach München. Ich habe nicht verstanden warum und ich habe mich mit den Zügen überhaupt nicht ausgekannt.
Da wurde ich wieder registriert und fotografiert. Es immer so: du bekommst eine Nummer, ein Brötchen und wirst weitergeschickt, wie am Fließband. Du musst zu irgendwelchen Behörden und weißt gar nicht warum.

Wie ging es dann weiter?

Ich wurde dann aufs Land geschickt und dort durfte ich keinen Deutschkurs besuchen. Dann haben mir zwei Frauen geholfen, mich an der Schlau-Schule anzumelden. Die haben mir auch beim Deutschlernen geholfen. Dann habe ich die mittlere Reife und eine Ausbildung zum IT Fachinformatiker für Systemintegration gemacht. Während der Ausbildung hatte ich aber auch immer das Gefühl, dass ich anders bin und ausgeschlossen bin. Man merkt, dass irgendwas anders ist. Ich kenne das von Kindheit an und spüre es, wenn ich anders behandelt werde und ob ich ernst genommen werde. Das kann man einmal zweimal ignorieren, aber nicht dauernd, jahrelang, das tut weh. Die Geschichte hat sich wiederholt. Die Leute denken wir hätten keine Ahnung vom Leben und keine Erfahrung. Dabei haben wir doch so viel durchgemacht und haben viel erlebt.

Flüchtlinge wissen, worum es geht. Was uns fertig macht, sind nicht Religion oder Nationalität, sondern die Menschen.

Sind Sie inzwischen angekommen? Fühlen Sie sich als Teil der Gesellschaft?

Wenn du auf dem Weg bist, bist du motivierter, weil du an deine Träume und Wünsche glaubst, du willst ein Ziel erreichen. 2012 hatte ich das Ziel erreicht, aber dann wurden die Träume und Wünsche zerstört. Ich will vergessen, was die Welt mir angetan hat, aber dann kommst du hier an und erlebst es wieder – wo soll ich denn hin? Und für jemand, der immer nur Flüchtling war, für den ist es noch schlimmer.
Die Gesellschaft lässt uns nicht rein. Was sollen wir denn noch machen? Wenn man uns nicht reinlässt, gibt man irgendwann auf.
Vor allem, wenn ich sehe, dass jetzt die Afd-Pegida im Bundestag sitzt. Ich weiß nicht, was in 5 Jahren ist: dürfen wir dann noch hier leben? Wir haben schon Angst. Wir reden nicht darüber oder wollen nicht darüber nachdenken, aber Angst haben wir alle.

Was denken Sie über ehrenamtliches Engagement?

Mir haben auch Menschen geholfen und viel beigebracht. Wenn es diese Menschen nicht gegeben hätte, hätte ich aufgegeben. Ich wurde sonst wie ein Hund behandelt und habe mich und mein Leben gehasst. Ich dachte, mein Leben hat keinen Sinn und habe versucht mich umzubringen. Und ich hatte einen Paten: der kam zu mir, als ich im Krankenhaus war und hat mir wieder auf die Beine geholfen. Er hat zu mir gesagt, du bist der Sinn und du kannst das beweisen und dann habe ich auch die Therapie bei Refugio München angefangen.

Was brauchen Sie, was wünschen Sie sich von der Gesellschaft, damit Sie ankommen?

Ich wünsche mir, dass alle gut behandelt werden. Ich wünsche, dass ich meine Kindheit vergessen kann. Ich wünsche mir ein Land, in dem wir angenommen werden, egal woher oder welche Religion. Ich wünsche mir, kein Flüchtling mehr zu sein.

Das Interview führte Heike Martin | Headerbild: Wolli Kanz