Fragen und Antworten zur psychosozialen Versorgung Geflüchteter
Unser politischer Beitrag ist in erster Linie die Expertise als Facheinrichtung, die auch eine Menschenrechtsorganisation ist. Dass wir als Expert*innen wahrgenommen werden, zeigen uns die vielen Anfragen von Medienvertreter*innen, Politiker*innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bundesweit. Die häufigste Frage ist: „Wie steht es um die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten?“
Wir haben hier ein paar der zentralen Fragen und Antworten zusammengestellt:
- Warum ist psychosoziale Versorgung für Geflüchtete wichtig?
Viele Geflüchtete haben im Herkunftsland oder auf der Flucht gewaltvolle und traumatisierende Situationen erlebt. Rund 30-40% der Asylsuchenden benötigen eine psychotherapeutische Behandlung, um diese Erlebnisse zu verarbeiten und die psychische Gesundheit zu stabilisieren. Das fördert die gesellschaftliche Teilhabe und ist wichtig für Schulbesuch, Ausbildung, Arbeitsaufnahme und Integration.
- Wo finden Geflüchtete in Deutschland psychosoziale Hilfe?
Geflüchtete und Asylsuchende können in speziell auf deren Bedürfnisse ausgerichteten Psychosozialen Zentren (PSZ) Hilfe bekommen. Diese Einrichtungen bieten Beratung und Therapie an, die auf Traumafolgestörungen, die Behandlung von Folteropfern und kultursensible Beratung und Therapie ausgerichtet sind. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) ist der Dachverband von über 50 Psychosozialen Zentren in Deutschland, die sich auf die Versorgung von Geflüchteten spezialisiert haben. Refugio München mit den beiden Außenstellen in Landshut und Augsburg ist eines davon. In Bayern gibt es außerdem noch ein PSZ in Nürnberg und eines in Neu-Ulm.
- Welche Art von Hilfe bieten Psychosoziale Zentren an?
Die Angebote sind vielfältig und richten sich nach den spezifischen Bedürfnissen der Geflüchteten. Dazu gehören:
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- Psychotherapie (teilweise traumaspezifisch)
- Fachärztliche Begutachtung für das Asylverfahren
- Psychosoziale Beratung
- Pädagogische Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien
- Asylsozial-Beratung
- Sprach- und Kulturmittlung (Dolmetscher:innen)
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Die traumaspezifische und kultursensible Psychotherapie wird in den PSZ von approbierten Psychotherapeut*innen durchgeführt. Damit unterscheiden sich die PSZ von anderen psychosozialen Beratungs- oder Weiterleitungseinrichtungen, die eine eher niedrigschwellige Beratung anbieten.
- Was sind die größten Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten?
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- Fehlender Rechtsanspruch: Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden wird im Asylbewerberleistungs-Gesetz (AsylBLG) geregelt: In den ersten 36 Monaten ihres Aufenthalts können Geflüchtete nur in akuten Notfällen medizinische Hilfe erhalten. Psychotherapie gilt nicht als akut notwendig, obwohl nicht behandelte Traumafolgestörungen massive chronische psychische Erkrankungen bis zur Suizidgefahr auslösen können. Dies basiert auf einer veralteten Definition von Gesundheit, die psychosoziale Aspekte ausklammert.
- Bürokratie: Psychotherapie ist nicht per se Teil der Leistungen über das AsylbLG, und erfordert Einzelgenehmigungen durch Sozialämter, die oft von nicht-medizinischem Personal entschieden werden. Die Anträge sind aufwendig und kompliziert. Die Genehmigung dauert häufig mehrere Monate, wenn sie erteilt wird. Für die Kostenübernahme braucht es außerdem noch ein fachärztliches Attest. Und eigentlich sollte die psychologische Behandlung von besonders Schutzbedürftigen nach der EU-Aufnahmerichtlinie klar immer gewährt werden.
- Finanzierungslücken: Trotz ihrer enormen Bedeutung sind die PSZ chronisch unterfinanziert. Aktuell werden sie im Rahmen des Bundesflüchtlingsprogramm des BMFSFJ gefördert, doch die Mittel wurden in den letzten Jahren drastisch gekürzt und reichen bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Die meisten PSZ sind auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen.
- Sprachbarrieren: Sprach- und Kulturmittler*innen sind unerlässlich, um Kommunikationsbarrieren zu überwinden und ein Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut*in und Klient*in aufzubauen. Die Kosten für die Sprachmittlung müssen meistens über Spenden, Stiftungen oder Anträge für andere Fördermittel finanziert werden. Es gibt keinen bundesweiten Finanzierungsanspruch für Sprachmittlung.
- Kapazitätsmangel: Die Psychosozialen Zentren können den Bedarf bei Weitem nicht decken. Laut Versorgungsbericht der BAfF konnten im Jahr 2022 nur 3,1% des bundesweiten Bedarfs gedeckt werden. Niedergelassene Psychotherapeut*innen können Geflüchtete aufgrund der bürokratischen, finanziellen und sprachlichen Schwierigkeiten nur in Ausnahmefällen behandeln. Häufig fehlt es auch an der traumaspezifischen und kultursensiblen Expertise. Außerdem sind die Themen Krieg, Folter, Vergewaltigung verbunden mit Suizidalität so häufig, dass das den Rahmen einer Einzelpraxis oft übersteigt.
- Kulturelle Unterschiede: Es fehlt an kultursensiblen Angeboten und Aufklärung über psychische Gesundheit bei Geflüchteten.
- Welche psychischen Problemen treten bei Geflüchteten häufig auf, wenn Sie nach Deutschland kommen?
Unsere Klient*innen haben mehrfach traumatische Ereignisse im Herkunftsland oder auf der Flucht erlebt: Das sind meistens schwere Gewalterfahrungen, auch schwere sexualisierte Gewalt, Krieg, Folter; sie haben häufig nahestehende Menschen verloren und/oder waren selbst in Lebensgefahr. Die häufigsten psychischen Probleme sind Traumafolgestörungen wie: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und psychosomatische Beschwerden. Viele haben schon Suizidversuche hinter sich.
- Was passiert, wenn Geflüchtete traumatische Erlebnisse nicht verarbeiten können?
Je länger eine Erkrankung unbehandelt bleibt, desto schwieriger und langwieriger wird die Behandlung und es droht eine Chronifizierung. Soziale Isolation und Schwierigkeiten bei der Integration können die Folge sein. Die Behandlung von chronischen psychischen Erkrankungen ist damit auch teurer für das Gesundheitssystem. Menschen mit psychischen Erkrankungen können häufig nicht arbeiten und sind deshalb auf staatliche Versorgung angewiesen. Traumafolgestörungen können sich auch noch auf die nachfolgenden Generationen negativ auswirken.
- Mit welchen Schwierigkeiten haben die Menschen hier zu kämpfen?
Die Lebensbedingungen erschweren häufig die Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen: Asylsuchende müssen in großen Gemeinschaftsunterkünften wohnen – oft jahrelang; einige dürfen nicht arbeiten; sie werden als Fremde diskriminiert, können ihre Zukunft nicht planen und sind in hohem Maße abhängig von Behörden. Die erlittenen grausamen Erlebnisse werden im Asylverfahren vielfach nicht berücksichtigt, sodass viele unter großer Angst leben, in das Land zurückkehren zu müssen, in dem sie in der Vergangenheit Schreckliches erlebt haben.