Ibrahims schwerer Weg
Ibrahim (Name geändert) ist 2018 aus Gaza geflohen – eine Flucht voll Hunger, Angst und Einsamkeit. In Deutschland hat er ohne Hilfe und trotz vieler Rückschläge für seine Zukunft gekämpft. Dann hat ihm der 2023 ausgebrochene grausame Krieg im Gazastreifen aber fast jeden Lebensmut genommen. Heute, nach schwerer Trauer und dank der Unterstützung von Refugio München, hat er wieder Mut gefasst: Er beginnt bald eine Ausbildung, kümmert sich liebevoll um seinen „neuen Opa“ und blickt trotz der Sorgen um seine Familie in Gaza mit Hoffnung nach vorn.
Ibrahim, wie bist du nach Deutschland gekommen?
2018 bin ich aus Gaza geflohen, das war sehr hart. Ich war sehr lange unterwegs, über Ägypten, die Türkei, Griechenland, Albanien und noch viele Länder. Zum Teil hatte ich kein Wasser, nichts zu essen und habe furchtbar gefroren. 40 Tage lang war ich völlig allein unterwegs im Wald und hatte keine Verbindung zu irgendjemanden, meine Familie in Gaza wusste nicht, ob ich noch lebe. Ich bin immer nachts gelaufen, damit mich niemand findet und dachte oft, das ist mein letzter Tag, den ich noch lebe.
Warum bist du weg aus Gaza?
Im Gazastreifen gibt es nur Tod und Krieg auch damals schon. Ich habe viele Freunde verloren und wurde selbst mit 14 Jahren verletzt, deshalb konnte ich mir dort keine Zukunft vorstellen. Jetzt ist das Haus meiner Familie zerstört, so wie alles; ich habe seit ein paar Monaten keinen Kontakt mehr zu meiner Familie und weiß nicht, wie es ihnen geht, nur das viele tot sind.
Ibrahim hat sich in seinen ersten Jahren in Deutschland ganz ohne Unterstützung selbst die Sprache beigebracht. Heute spricht er fließend Deutsch und hat den Mittelschulabschluss erworben – ohne jemals eine deutsche Schule besucht zu haben. Obwohl sein Asylantrag damals abgelehnt wurde, ließ er sich nicht entmutigen und arbeitete unbeirrt weiter an einer Perspektive für sein Leben in Deutschland. All das hat er allein aus eigener Kraft erreicht. Doch der 7. Oktober 2023 raubte ihm plötzlich jeden Mut.
Im Oktober 2023 hatte ich eigentlich einen Ausbildungsplatz in einer Arztpraxis, aber nachdem der aktuelle Krieg ausgebrochen ist, ging es mir monatelang so schlecht, dass ich nicht mehr arbeiten konnte. Ich konnte nichts essen, nicht schlafen, ich habe immer nur an meine Familie gedacht und dass ich nirgendwohin kann. Mein Asylantrag war abgelehnt, ich hatte keine Heimat und keine Zukunft. Sogar in meinen deutschen Papieren steht „staatenlos“, weil Palästina hier offiziell nicht existiert. Darüber wollte ich mit niemandem reden, damit keiner merkt, wie traurig ich bin. Ich war tagsüber nur in der Asylunterkunft und bin nachts durch die Straßen gelaufen. Dann hat mich jemand von der Sozialberatung in der Unterkunft zu Refugio München geschickt.
Wie erging es dir dann bei Refugio München?
Bei Refugio habe ich mich zuerst einmal gefreut, dass ich arabisch sprechen konnte. Dort haben mir die Menschen zugehört und meinen Schmerz verstanden. Es hat ein paar Monate gedauert, dann hatte ich wieder Freude und Mut zum Leben. So konnte ich auch wieder arbeiten und mit dem Geld meiner Familie in Gaza helfen.
Mit der Unterstützung einer Anwältin habe ich auch einen Aufenthaltsstatus bekommen, aber ich war immer noch in der Asylunterkunft. Meine Sozialberaterin bei Refugio hat mir dann „Wohnen für Hilfe“ empfohlen. Da wurde ich an einen wundervollen Mann vermittelt, bei dem ich jetzt lebe. Er ist 88 Jahre alt. Ich kümmere mich um ihn, das Haus, den Garten und habe viel renoviert. Aber das Schönste ist, wir sind wie eine kleine Familie.
Wie geht es dir jetzt?
Nach ein paar Monaten bei Refugio ging es mir von Woche zu Woche besser. Es war so gut, dass jemand auf meiner Seite war und mir auch mit den Behörden geholfen hat. Dabei habe ich auch gelernt, was ich selbst machen kann. Ich kenne mich jetzt ganz gut mit der komplizierten Bürokratie aus.
Ich hätte nicht gedacht, dass mein Leben noch mal so gut werden könnte. Natürlich bin ich immer noch sehr traurig über den Krieg und die Situation in Gaza. So viele aus meiner Familie sind schon tot und ich mache mir um die, die noch leben, große Sorgen. Aber das, was ich jetzt hier in Deutschland Gutes tun kann, das mache ich jetzt. Ich kümmere mich um meinen „neuen“ Opa und im September fang ich eine Ausbildung als Friseur an. Dann kümmere ich mich am Abend und an den Wochenenden um ihn, wir haben wirklich viel Spaß zusammen! Das tut uns beiden gut.
Ibrahim, vielen Dank, dass du deine Geschichte mit uns teilst!

Ibrahims Therapie ist inzwischen zu Ende, und er braucht die Hilfe von Refugio München nicht mehr. Stattdessen kann er heute selbst anderen Mut machen. Mit leuchtenden Augen zeigt er Fotos von den Ausflügen mit seinem „neuen“ Opa – und man spürt sofort, wie viel Freude die beiden miteinander teilen. Es ist bewegend zu sehen, wie ein junger Mensch, der durch so viel Dunkelheit gegangen ist, wieder Lebensfreude schenken kann. Die Trauer und die Sorge um seine Familie in Gaza bleiben, doch Ibrahim hat neue Kraft gefunden – genug Energie und Hoffnung für die Zukunft. Davon profitiert nun auch seine neue Familie hier in Deutschland
Das Gespräch führte Heike Martin