Kristina hat auf ihrer Flucht aus dem Kongo unsagbares Leid erlebt und ihre Familie verloren. In Deutschland beginnt sie, Schritt für Schritt neues Vertrauen ins Leben zu fassen – mit einem unbeirrbaren Willen, wieder glücklich zu sein.
von Heike Martin
Unsere Klientin hat ihre Therapie bei Refugio München nach zwei Jahren so gut wie beendet. Sie macht seit September eine Ausbildung zur Pflegehelferin im Krankenhaus und spricht fünf Sprachen. Die junge Frau kam allein nach Deutschland. Ihren Mann und ihren Sohn hatte sie im Kongo verloren – beide wurden ermordet. Ihre Flucht war lang und voller Angst; sie hat entsetzliche Gewalt erlebt. Als sie endlich in Deutschland ankam, war sie innerlich am Ende. Ein Arzt erkannte, wie schlecht es ihr ging, und meldete sie bei Refugio München an. Doch zunächst bekam Kristina keinen Therapieplatz – rund 80 Prozent der Anmeldungen müssen wir ablehnen, weil die Kapazitäten nicht ausreichen, obwohl wir wissen, dass viele unbedingt Hilfe brauchen. Zum Glück gab der Sozialdienst in ihrer Unterkunft nicht auf, und schließlich durfte sie zu einem Erstgespräch kommen.
Ihre Therapeutin erinnert sich:
„Sie kämpfte die ganze Zeit mit den Tränen. Über das Schicksal ihrer Familie konnte sie kaum sprechen. Wir wussten durch die Anmeldung von der Gewalt, die sie erlitten hatte – aber wir fragten nicht danach. Dafür brauchte es erst Vertrauen.“
Kristina selbst erzählt:
„Ich musste so viel weinen. Es war unglaublich anstrengend. Aber am Ende habe ich gespürt: Dort werden sie mir helfen.“
Von da an begann Schritt für Schritt der Weg in die Zukunft. Auch wenn sie zwei Stunden zu jeder Therapiesitzung fahren musste – für Kristina war das nie zu viel: „Es war wichtig für mich, deshalb war es nicht anstrengend. Es hat mir so viel gebracht.“ Nicht nur in der Therapie, auch in der sozialen Beratung fand sie Halt. Als es um ihr Asylverfahren ging, begleitete ihre Therapeutin Katrin Kammerlander-Straub sie zur Anhörung. „Damals habe ich nur Katrin vertraut. Ich hatte kein Vertrauen mehr ins Leben. Aber mit ihr an meiner Seite war ich nicht mehr so allein. Ich wusste: Es gibt Menschen, die auf meiner Seite stehen.“ Gestärkt durch diese Erfahrung begann Kristina wieder Schritte ins Leben zu wagen. Sie lernte Fahrrad fahren, fing an zu malen, ging in die Bibliothek und machte Sport mit anderen. „Ich kann meine Geschichte nicht vergessen. Aber bei Refugio habe ich gelernt, dass ich trotzdem ein gutes Leben führen und Dinge tun kann, die mir Freude machen.“
So hat sie sich an ihren größten Wunsch gewagt: eine Ausbildung. Dafür musste sie jedoch erst ihren Schulabschluss nachholen – und ihn selbst finanzieren. Kristina arbeitete bei McDonalds, sparte 3.000 Euro und bekam zusätzlich Unterstützung von der Erzdiözese München Freising und einer Spendeninitiative. Der Einsatz hat sich gelohnt: Sie machte einen sehr guten Abschluss und erhielt einen Ausbildungsplatz als Pflegehelferin. „In meiner Heimat war es selbstverständlich, dass man sich um die Kranken und Alten kümmert. Ich wollte das auch hier tun – ich helfe sehr gerne anderen.“
Obwohl Kristina schwerste Gewalt durch Menschen erfahren hat, ist sie jetzt wieder gerne mit anderen Menschen zusammen und genießt es, wenn sie sich um andere kümmern kann.
Mit Beginn der Ausbildung zog sie in ein Wohnheim für Auszubildende. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ein eigenes Zimmer. „Es ist so schön, endlich Ruhe zu haben. Niemand, der einfach hereinkommt, kein Lärm mehr.“
Wenn man Kristina nach ihren Wünschen für die Zukunft fragt, wird sie still. Zu groß ist die Dankbarkeit für das, was sie bereits geschafft hat. Ihre Hoffnung: Die Ausbildung erfolgreich beenden, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, unabhängig sein. Und vielleicht eines Tages Freundinnen finden – vielleicht sogar wieder eine Familie.
Ihr Rat an andere Frauen, die nach Deutschland fliehen mussten:
„Passt gut auf euch auf. Holt euch Hilfe, von Menschen, die euch verstehen, wenn es euch schlecht geht. Das ist so wichtig. Nicht nur wegen der Sprache – bei Refugio sind Menschen, die verstehen, was wir erlebt haben. Und die uns helfen, das zu überstehen. Ich sage allen Frauen: Seid stolz darauf, dass ihr überlebt habt. Ich bin auch stolz auf mich. Denn ich habe so viel geschafft. Heute weiß ich: Das Leben ist gut.“
Arbeitsintegration
Laut Studien haben 30-40 Prozent der Menschen mit Fluchterfahrung Traumafolgen mit Symptomen wie Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen oder tiefe Erschöpfung. Psychotherapie ist für die Betroffenen essenziell, damit Ausbildung oder Arbeit gelingen. Gleichzeitig klärt die soziale Beratung Themen wie Arbeitsgenehmigung oder Ausbildung, so werden eigene Existenzsicherung und ein selbstbestimmtes Leben erst möglich – ein wichtiger gesamtgesellschaftlicher Beitrag.
