Zwischen Auswahl und Hoffnung – wie wir Therapieplätze vergeben

Fachbereich Therapie und Beratung für Erwachsene
Jahresbericht 2024

Leider haben wir zu wenig Therapieplätze und müssen über Dreiviertel aller Anfragen im Erwachsenenbereich ablehnen – eine der schwersten Aufgaben für unser Team.

Im Fachbereich für Erwachsene können wir nur zweimal jährlich – im April und im Oktober – neue Anmeldungen annehmen. Im Oktober 2024 erhielten wir 236 Anfragen, nur 37 davon konnten wir zu einem Erstgespräch einladen.

Wie wählen wir aus?
In die engere Wahl kommen Geflüchtete, die traumatische Erlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht hatten. Wir konzentrieren uns insbesondere auf Menschen, die noch im Asylverfahren sind, deshalb keine Krankenversicherung haben und kaum Deutsch sprechen. Sie haben so gut wie keine Chance auf eine Therapie in der Regelversorgung. Doch selbst unter diesen hoch belasteten Personen müssen wir weiter auswählen. Wir ziehen das Netz immer enger und fragen uns: „Wen können wir mit dem am wenigsten schlechten Gewissen ablehnen?“ Denn auch die Menschen, denen wir absagen müssen, bräuchten dringend Hilfe.

Das Erstgespräch: Der Fall von Frau M.
Frau M. wurde vom Sozialdienst ihrer Unterkunft angemeldet und es lag bereits ein psychologischer Kurzbericht unseres Früherkennungsteams aus der Erstaufnahme vor. Sie hatte wiederholt schwere sexualisierte und körperliche Gewalt erlebt und musste mitansehen, wie ihr Ehemann ermordet wurde. Die Frau aus dem Kongo leidet unter schweren Alpträumen, kann – wenn überhaupt – nur bei Licht schlafen, hat panische Angst vor Männern in Uniform und fühlt sich oft hoffnungslos, bis hin zu Todeswünschen. Sie wurde zu einem Erstgespräch eingeladen, das mit einer Therapeutin, einer Sozialpädagogin und einer Dolmetscherin stattfindet. Im Termin sollen Hinweise auf eine Traumafolgestörung abgeklärt werden.

Frau M. erscheint überpünktlich. Man merkt der Frau aus dem Kongo an, wie viel Kraft sie der Termin kostet. Immer wieder knetet sie während des Gesprächs ihre Hände, sie ist offensichtlich angespannt, will ihr Jacke nicht ausziehen und hält sich an der Tasche auf ihrem Schoß fest. Sie wirkt buchstäblich fluchtbereit. Doch Frau M. hält durch und überwindet sich, den fremden Menschen im Raum zu vertrauen. Ihre Entschlossenheit, die in Aussicht stehende Hilfe zu nutzen und eine Therapie zu machen, ist spürbar.

Die Erstgespräche sind nicht nur für die Diagnose wichtig, sondern auch um herauszufinden, wie therapiefähig eine Person ist und ob ihre Motivation ausreicht; denn Traumatherapie ist harte Arbeit und benötigt Beharrlichkeit. Bei Frau M. wird schnell klar: Sie will, dass ihr Leben besser wird, sie will nicht mehr die ängstliche Frau sein, die ihren Alltag kaum allein bewältigt und die sie selbst nicht mehr kennt.

Frau M. wird aufgenommen.

Aufnahme und erste Schritte

Die ersten Termine dienen der Psychoedukation und Stabilisierung – eine wichtige Voraussetzung für die spätere Traumaaufarbeitung. Bei Frau M. wird zunächst am Schlaf gearbeitet: Sie bekommt Leuchtsterne als Orientierungshilfe – tagsüber soll sie sich diese ansehen und daran denken, dass sie in Deutschland in Sicherheit ist. Wenn sie nachts aus Alpträumen aufwacht, sollen die Leuchtsterne sie daran erinnern und damit wieder ins „Hier und Jetzt“ holen.

Die Sozialberatung greift in dieser Phase nur bei dringenden asylrechtlichen Problemen ein – etwa wenn ein Antrag abgelehnt wurde, weil Betroffene wegen ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage waren, ihre Geschichte zu erzählen. Frau M.s Anhörung steht noch aus. Es bleibt also Zeit, sie zu stabilisieren, damit sie bei der Anhörung ihre Erlebnisse möglichst klar schildern kann. Im weiteren Verlauf wird die Sozialberatung gemeinsam mit Frau M. an einer Perspektive arbeiten: Gibt es Zugang zu Deutschkursen, Bildungsangeboten oder Arbeit?

Der schwerste Teil kommt später
Wenn Frau M. psychisch und im Alltag stabil genug ist, beginnt der schwierigste Abschnitt: die eigentliche Traumatherapie. Dabei wird sie sich mit ihrer Therapeutin der erlebten Gewalt stellen. Ziel ist es, das Geschehene nicht länger als bedrohliche Gegenwart wahrzunehmen, sondern als Teil einer Vergangenheit, die sie überlebt hat. Es geht darum, Kontrolle zurückzugewinnen und wieder selbstbestimmt handlungsfähig zu werden.

Frau M. bringt die nötige Entschlossenheit für diesen Weg mit. Ihre Perspektive ist gut.

Das Team vom Fachbereich Psychotherapie und Sozialberatung für Erwachsene.