Politische Arbeit
Jahresbericht 2024
Im letzten Jahresbericht lautete die Überschrift dieses Artikels „Politisch? Schwierig!“. Jetzt könnte sie heißen „Politisch? Noch schwieriger!“.
In der politischen Arbeit bei Refugio München konzentrieren wir uns auf Themen, die die psychische Gesundheit von Menschen mit Fluchterfahrung betreffen. Zum Beispiel, dass es bayernweit dringend mehr Therapieplätze für Asylsuchende geben muss, weil sie so gut wie keine Chance auf Psychotherapie in der Regelversorgung haben. Oder, dass es ein Konzept zur Früherkennung von besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden in allen Erstaufnahmeeinrichtungen geben muss, das die Rechte der Betroffenen systematisch und maßnahmenorientiert im Blick hat. Doch in einer politisch aufgeheizten Stimmung gerät die konstruktive Debatte bei der Suche nach klugen Lösungen im Bereich Flucht und Asyl manchmal in den Hintergrund.
Unser politischer Beitrag ist und bleibt die Expertise als Facheinrichtung, die auch eine Menschenrechtsorganisation ist. Als Expert*innen sind wir auch von vielen Medienvertreter*innen, Politiker*innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gefragt. Das häufigste Thema ist: „Wie steht es um die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten?“
Wir haben hier ein paar der zentralen Fragen und Antworten zusammengestellt:
Warum ist psychosoziale Versorgung für Geflüchtete wichtig?
Viele Geflüchtete haben im Herkunftsland oder auf der Flucht gewaltvolle und traumatisierende Situationen erlebt. Rund 30-40% der Asylsuchenden benötigen eine psychotherapeutische Behandlung, um diese Erlebnisse zu verarbeiten und die psychische Gesundheit zu stabilisieren. Das fördert die gesellschaftliche Teilhabe und ist wichtig für Schulbesuch, Ausbildung, Arbeitsaufnahme und Integration.
Was sind die größten Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten?
- Fehlender Rechtsanspruch: Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden wird im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt: In den ersten 36 Monaten ihres Aufenthalts können Geflüchtete nur in akuten Notfällen medizinische Hilfe erhalten. Psychotherapie gehört in der Praxis in Bayern nicht dazu, obwohl nicht behandelte Traumafolgestörungen massive chronische psychische Erkrankungen bis zur Suizidgefahr auslösen können. Dabei sollte die psychologische Behandlung von besonders Schutzbedürftigen nach der EU-Aufnahmerichtlinie eigentlich immer gewährt werden.
- Finanzierungslücken: Trotz ihrer enormen Bedeutung sind die Psychosozialen Zentren für Geflüchtete (PSZ) chronisch unterfinanziert. Die Mittel aus öffentlichen Förderungen reichen bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Die meisten PSZ sind auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen.
- Sprachbarrieren: Sprach- und Kulturmittler*innen sind unerlässlich, um Kommunikationsbarrieren zu überwinden und ein Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut*in und Klient*in aufzubauen. Die Kosten für die Sprachmittlung müssen meistens über Spenden finanziert werden, weil es bei einer medizinischen Behandlung keinen Finanzierungsanspruch für Sprachmittlung gibt.
- Kapazitätsmangel: Die Psychosozialen Zentren können den Bedarf bei Weitem nicht decken. Laut Versorgungsbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren konnten im Jahr 2022 nur 3,1% des bundesweiten Bedarfs gedeckt werden. Niedergelassene Psychotherapeut*innen können Geflüchtete aufgrund der bürokratischen, finanziellen und sprachlichen Schwierigkeiten nur in Ausnahmefällen behandeln und haben oft nicht die nötige traumaspezifische und kultursensible Expertise. Außerdem sind die Themen Krieg, Folter, Vergewaltigung verbunden mit Suizidalität so schwerwiegend, dass das den Rahmen einer Einzelpraxis oft übersteigt.
Was passiert, wenn Geflüchtete traumatische Erlebnisse nicht verarbeiten können?
Wenn Traumafolgestörungen unbehandelt bleiben, können soziale Isolation und Schwierigkeiten bei der Integration die Folge sein. Menschen mit psychischen Erkrankungen können häufig nicht arbeiten und sind deshalb auf staatliche Versorgung angewiesen. Traumafolgestörungen können sich auch noch auf die nachfolgenden Generationen negativ auswirken.
Mit unserem Fachwissen und der langjährigen Erfahrung bei der Behandlung von traumatisierten Geflüchteten werden wir uns weiterhin und auch mit einem langen Atem in der Politik dafür einsetzen, dass sie Behandlung bekommen, um an unserer Gesellschaft teilhaben zu können.