SoulCaRe – Früherkennung besonders schutzbedürftiger Asylsuchender in der Erstaufnahme
Jahresbericht 2024
Ein zentrales Instrument zum Schutz vulnerabler Gruppen ist die Früherkennung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter. Dazu gehören unter anderem psychisch erkrankte und/oder traumatisierte Asylsuchende, sowie Opfer von Menschenhandel oder LGBTIQ*-Geflüchtete.
Geflüchtete Menschen mit LGBTIQ*-Hintergrund (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*, queer) sind weltweit eine besonders verletzliche Gruppe. Sie fliehen vor Gewalt, Diskriminierung und Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. In Deutschland lässt sich ihr Anteil nur schwer beziffern, doch laut dem LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt – gehören mehrere Tausend Geflüchtete jährlich dieser Gruppe an. Viele benötigen besonderen Schutz, finden aber nicht immer passende Strukturen vor.
Das Team SoulCaRe – Früherkennung besonders schutzbedürftiger Asylsuchender von Refugio München hat die Aufgabe, in der Erstaufnahme Menschen mit spezifischem Schutzbedarf frühzeitig zu identifizieren. Ziel ist, ihnen bedarfsgerechte Hilfe, Schutz und Zugänge zu sichern – besonders in Bezug auf das Asylverfahren und die Unterbringung. Refugio München hat dafür ein Konzept entwickelt, das systematisch Zugang zu Betroffenen ermöglicht und entsprechende Maßnahmen einleitet – in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Regierung von Oberbayern.
Warum LGBTIQ* gezielt in den Blick nehmen?
Unser Früherkennungsteam startete 2021 in München mit Fokus auf traumatisierte und psychisch belastete Asylsuchende. Bald wurde klar: Auch LGBTIQ*-Geflüchtete gehören zur Zielgruppe – ihr Schutzbedarf ist ebenfalls nicht sichtbar, tritt in der Regel mit anderen Schutzbedarfen zusammen auf und die Identifizierung erfordert Sensibilität und Expertise. LGBTIQ*-Geflüchtete erleben Diskriminierung, politische Verfolgung, Gewalt und Traumata häufig in Kombination. Deshalb hat das Team diese Gruppe mit in den Fokus genommen und sich dafür gezielt weitergebildet.
Herausforderungen bei der Identifizierung
Viele tun sich schwer, sich zu outen – aus Angst, Scham oder religiösen Gründen. Deshalb ist Vertrauen entscheidend. Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden von Refugio München darüber aufklären, dass alle Gespräche vertraulich sind und wir allen Menschen mit derselben Wertschätzung begegnen. Das Thema wird nicht forciert, sondern in Gesprächen über Schlaf, Ängste oder weitere psychische Belastungen vorsichtig eingebettet. Die Sensibilisierung erfolgt in mehreren Kontaktmomenten. Manche Klient*innen sind besser informiert, weil sie bereits im Heimatland in der queeren Community aktiv waren – und vielleicht genau deshalb fliehen mussten – anderen ist überhaupt nicht bewusst, dass sie aufgrund von EU-Richtlinien besondere Schutzrechte haben und müssen darüber erst aufgeklärt werden. Viele sprechen zum ersten Mal über ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität mit den Mitarbeitenden von Refugio München: Scham und Angst vor Nachteilen sind weit verbreitet.
Wie geht es weiter nach der Identifizierung?
Bei vorhandenem Schutzbedarf bespricht sich das Team intern, welche Maßnahmen geeignet sind und ob aufgrund einer möglichen psychischen Belastung eine Diagnostik nötig ist. Wenn die betroffene Person einverstanden ist, werden Meldebögen für das BAMF und die Unterbringung erstellt. Liegt keine psychische Belastung vor, wird nur der LGBTIQ*-Schutzbedarf gemeldet. Wenn gewünscht und möglich werden Beratungskontakte vermittelt – etwa für die Vorbereitung auf die Anhörung zum Asylverfahren, die Fachstellen für LGBTIQ* spezifisch anbieten können. Im besten Fall können die Betroffenen auch in München bleiben, wo es passende Angebote gibt. Viele LGBTIQ*-Geflüchtete suchen Anschluss an die Community, weil sie sich in der Gemeinschaft sicherer fühlen. Dafür wären auch eigene Unterkünfte für queere Geflüchtete hilfreich, die aber bisher in Oberbayern nicht ausreichend zur Verfügung stehen.
Die gezielte Identifikation und Begleitung von LGBTIQ*-Geflüchteten ist essenziell zum Schutz vulnerabler Personen. Vertrauen, Offenheit und passende Strukturen sind der Schlüssel – damit Ankommen auch Ankommen bedeutet.
