Trauma, Traumatisierung oder psychische Erkrankung?

Eine Einordnung

Refugio München bietet Psychotherapie für traumatisierte Menschen mit Fluchterfahrung. Doch was genau ist eine Traumatisierung und wann ist eine therapeutische Behandlung nötig? Dr. Alexandra Liedl kann aus der Praxis einer Traumatherapeutin erklären und berichten.

 

Fahim, ein junger Mann aus Afghanistan, hat in seinem Heimatland mehrere Bombenanschläge der Taliban erlebt. Bei einer dieser Explosionen kam sein Bruder ums Leben, seine Schwester wurde schwer verletzt. Aufgrund der anhaltenden Lebensgefahr hat Fahim seine Heimat schweren Herzens verlassen. Der Weg nach Europa war geprägt von viel Leid. Fahim lebt in einer Unterkunft für Geflüchtete, er teilt sich sein Zimmer mit drei weiteren Personen.

So wie Fahim geht es vielen Menschen, die bei Refugio München um Hilfe bitten. Ein Großteil der Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen mussten, haben eines oder mehrere traumatische Ereignisse erlebt. Traumata sind extrem belastende Ereignisse, außergewöhnliche Bedrohungen oder Katastrophen. Wichtig ist dabei zu wissen, dass nicht jede Traumatisierung zu einer behandlungsbedürftigen Störung führt. Allerdings wissen wir auch, dass sich das Risiko für eine psychische Erkrankung mit zunehmender Anzahl von traumatischen Ereignissen erhöht. Wenn dann noch weitere Faktoren vorhanden sind, wie zum Beispiel geringe soziale Unterstützung, wenig Alltagsstruktur, mangelnde Zukunftsperspektive und Schuldgefühle steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Traumafolgestörung weiter.

 Fahim hat in seinem Heimatland und auf der Flucht zahlreiche traumatische Erfahrungen erlebt. Besonders belastend ist für ihn der Tod des Bruders. Fahim gibt sich selbst die Schuld  dafür: er hatte seinen Bruder gebeten bei der kleinen Schwester zu bleiben, während der Rest der Familie die Tante besucht hat. In Deutschland fühlt sich Fahim oft einsam, er vermisst seine Familie. Die Tage im Camp sind alle gleich, es gibt nichts zu tun.

AL

Dr. phil. Alexandra Liedl ist als Psychologin und psychologische Psychotherapeutin bei Refugio München in der Forschungsabteilung.

 

Eine der häufigsten psychischen Erkrankungen nach traumatischen Erlebnissen ist die Posttraumatische Belastungsstörung. Ein zentrales Merkmal dieser Störung ist das Wiedererleben der traumatischen Ereignisse. Betroffene werden immer wieder mit inneren Bildern oder Filmen des Erlebten konfrontiert und können diese nicht kontrollieren. Häufig erleben sie die traumatischen Situationen auch in Form von Albträumen immer wieder neu. Hinzu kommt eine starke Anspannung, die sich in Schreckhaftigkeit und einer empfundenen permanenten Bedrohung äußern kann. Betroffene versuchen zudem Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis oder auch Aktivitäten, Situationen oder Menschen, die sie mit dem Ereignis in Verbindung bringen, zu vermeiden. Sehr viele unserer Klient*innen leiden so sehr unter der Belastung, dass sie nicht mehr weiterleben möchten, einige haben auch bereits Suizidversuche unternommen.

 Fahim träumt fast jede Nacht von seinem Bruder. Er sieht seinen reglosen Körper, seine großen Augen, die ihn bittend ansehen und überall Blut. Immer wieder muss er zudem an eine Situation auf dem Flüchtlingsboot denken, die einige Menschen nicht überlebt haben. Neben den schrecklichen Erinnerungen quälen Fahim auch die aktuelle Situation in der Unterkunft und die Unsicherheit, ob er in Deutschland bleiben darf.

Vor allem die Kombination aus schwierigen Lebensbedingungen und psychischen Erkrankungen sind für viele Menschen mit Fluchterfahrung sehr belastend. Daher arbeiten wir bei Refugio München multidisziplinär: neben einem therapeutischen Angebot bekommen alle Klient*innen auch sozialpädagogische Unterstützung. Gerade zu Beginn einer Behandlung stehen die Probleme im Alltag oft im Vordergrund. Für eine erfolgreiche Traumatherapie benötigen Betroffene Sicherheit und Stabilität. Meist werden in der Therapie zunächst Techniken erarbeitet, wie sich Betroffene nach Albträumen, wenn Flashbacks oder ungewollte Erinnerungen auftreten, verhalten können. Was kann ich tun um möglichst schnell wieder „im Hier und jetzt“ anzukommen? Wie kann ich mehr Struktur in meinen Alltag erreichen?
Wenn diese Form der Stabilität und Sicherheit erreicht wurde, können wir uns in der Therapie mit den traumatischen Erlebnissen auseinandersetzten.

Fahim hat in der Therapie gelernt, was er tun kann, wenn er schweißgebadet von einem Albtraum aufwacht. Das hilft ihm sehr. Ein Praktikum gibt seinem Alltag wieder mehr Struktur. Der nächste Schritt in der Therapie wird sein, sich den traumatischen Ereignissen zu stellen. Gemeinsam mit seiner Therapeutin möchte Fahim diesen Schritt gehen.