Gemeinsame Chancen

Die besonders schöne Geschichte von Khalida und Zaki

Von Khalida und ihrer Familie haben wir schon öfter berichtet. Weil diese Geschichte ganz besonders schön ist – auch für uns bei Refugio München  – wollen wir sie Ihnen weiter erzählen.

Die Augen strahlen voller Stolz und man weiß gar nicht, ob der Stolz auf die eigene Leistung oder der auf die Leistung des Bruders größer ist. „Ich habe den besten Abschluss auf meiner Schule gemacht und Zaki hat den zweitbesten gemacht“, erzählt das Mädchen glücklich. „Du hast mich aber auch immer ganz schön angetrieben“, kommt von ihrem Bruder zurück. Aber auch ihm sieht man die Freude über den mehr als gelungenen Schulabschluss an. Die fast 18jährige Khalida und ihr 16jähriger Bruder haben in derselben Klasse dieses Jahr den Mittelschulabschluss gemacht. Obwohl sie zwei Jahre Altersunterschied haben, hatten sie 2020 gemeinsam in derselben Klasse das erste Schuljahr begonnen. Vorher hat keiner der beiden jemals eine reguläre Schule besucht. Beide sind mit ihrer Familie 2015 aus Afghanistan geflohen und 2019 nach Deutschland gekommen. Vor und auf der Flucht haben sie Jahre mit schrecklichen Erlebnissen gehabt, drei Jahre waren sie in Griechenland: „Eine furchtbare Zeit“, sagt Khalida, mehr möchte sie darüber nicht erzählen. Auch über Afghanistan und was sie dort erlebt hat, wird sie nicht reden. Das hat sie in der Therapie bei Refugio München aufgearbeitet und dort bleibt es auch für immer.

Khalida und Zaki genießen die letzten Tage bevor sie sich wieder voll auf die Schule konzentrieren.

Vielleicht erinnern Sie sich an Khalida: wir haben bereits vor einiger Zeit immer wieder mal von ihr und ihrer Familie berichtet. Schon damals hat sie überglücklich erzählt, wie schön es ist, dass sie endlich ganz normal die Schule besuchen kann. Ihr Bruder Zaki war damals noch nicht ganz so begeistert vom Lernen, aber das hat sich offensichtlich geändert.

Wenn Sie sich Khalida vorstellen, dann stellen sie sich ein selbstbewusstes, fröhliches, aber auch sehr abgeklärtes und nachdenkliches junges Mädchen vor und dazu einen Bruder, der ganz offensichtlich froh ist, so eine Schwester zu haben. Vor drei Jahren war es ganz anders: Anfang 2020 wurde Khalida von einem Kinderarzt zu Refugio München geschickt. Dem Mädchen ging es sehr schlecht. Die Erfahrungen der Vergangenheit lasteten schwer auf ihr und die Chronifizierung einer psychischen Erkrankung drohte. Wir haben Khalida damals sofort in Therapie aufgenommen und als wir beim Elterngespräch feststellten, dass auch die Mutter schwer belastet war, bekam auch sie einen Therapieplatz.

Khalidas Entwicklung war dann rasant: ein halbes Jahr später war sie wie ausgewechselt, eine Spitzenschülerin, Managerin der ganzen Familie. Ihr Deutsch war schon damals beeindruckend – heute spricht sie akzentfrei und nebenbei noch dari, griechisch und englisch. So schnell und beeindruckend geht es natürlich nicht immer, aber es ist schon so, dass die Therapie bei Kindern sehr schnell wirkt, wenn man ihnen frühzeitig helfen kann.

Einfach hat es Khalida auch hier in Deutschland nie gehabt. „Am Anfang bin ich in der Schule viel gemobbt worden, mein Deutsch war noch so schlecht.“, erzählt sie. Außerdem hatte die Familie jahrelang keine Sicherheit, ob sie in Deutschland bleiben dürfen, die Ungewissheit lastete schwer auf allen. Aber vor allem auch auf dem jungen Mädchen, das die Eltern zu allen Behördengängen begleitet hat, um zu übersetzen. „Ich bin die Chefin in der Familie“, sagt sie selbstironisch und ihr Bruder ergänzt „oder Betreuerin, so könnte man auch sagen“. Khalida hat von ihrem ersten selbstverdienten Geld, das sie von einer Zeitung bekommen hat, einen Drucker gekauft, damit sie die Behördenbriefe selbst ausdrucken kann. Inzwischen ist der Aufenthaltsstatus der Familie endlich geklärt und sie wissen, dass sie hier bleiben dürfen. „Das ist eine große Erleichterung für uns alle!“ Das bedeutet, dass auch endlich die Eltern Deutschkurse besuchen dürfen und in Zukunft vielleicht nicht mehr immer alles von der ältesten Tochter geregelt werden muss.

Sie wird dafür auch weniger Zeit haben, denn seit diesem Schuljahr besuchen die Geschwister die Realschule, Khalida will dort einen ebenso guten Abschluss machen, dann Abitur und studieren. Sie weiß auch schon genau was: Sie will Juristin werden und später mal anderen Geflüchteten im Asylverfahren helfen. Sie arbeitet bereits mit einem Minijob in einer Rechtsanwaltskanzlei, die vor allem auf Asylrecht spezialisiert ist. Die Schülerin ist dort mit ihrer Mehrsprachigkeit eine große Hilfe. Sie berichtet: „Mit meinen Sprachkenntnissen werde ich viel Chancen haben, obwohl Übersetzen schon anstrengend ist. Aber wenn jemand nicht so gut deutsch kann, helfe ich natürlich, das macht mir auch viel Spaß!“ Bei Gericht war sie auch schon dabei, da sind doch einige Begriffe gefallen, die sie nicht verstanden hat. Die schreibt sie sich auf und schlägt sie später nach. Die Stelle in der Kanzlei hat sie sich allein organisiert, in dem sie dort zunächst zweimal ein Praktikum gemacht hat. „Ich hab an alle Anwaltskanzleien in München Bewerbungen geschickt.“, erzählt sie – Durchhaltevermögen hat sie auf jeden Fall!

Bei Büchern hält sich vor allem Khalida am liebsten auf. (Fotos: Arif Haidary / Instagram art_arif)

 

Auch wenn Khalida laut Zaki schon mit 11 Jahren wusste, dass sie Anwältin werden will, hat sie sich noch nicht ganz festgelegt: in diesem Jahr macht sie noch ein Praktikum im Krankenhaus und beim Jobcenter. „Oder ich werde Sozialpädagogin wie Frau Siebenbürger, da hilft man auch so vielen Menschen.“ Birke Siebenbürger ist die Leitung unseres Fachbereichs für Kinder und Jugendliche und hat damals die Familie betreut und beraten. Die Aussicht, Khalida später vielleicht als Kollegin oder Anwältin zu haben, gefällt auch ihr ziemlich gut.

Khalida ist ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Mädchen geworden – kein Vergleich zu dem völlig erschöpften und psychisch belasteten Kind, das vor drei Jahren die erste Therapiestunde bei Refugio München hatte. Sie lässt sich nicht mehr einschüchtern: „Mir sagt keiner, was haram ist und niemand darf anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Ich überlege auch immer gut, was ich zu anderen Menschen sage, weil Wörter sehr verletzend sein können.“

Wenn Sie Khalida und Zaki gegenübersitzen, sie erzählen hören und sehen wir ihre Augen glänzen, wenn sie davon sprechen, was sie noch alles erreichen wollen und wem sie alles später mal helfen wollen, dann kann man gar nicht anders als die gemeinsamen Chancen zu sehen. Chancen, die wir als Gesellschaft geschenkt bekommen, wenn wir die jungen Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, aufnehmen, ihnen helfen und sie in unserer Gesellschaft wachsen lassen.