„Damit sie auch hier gute Eltern bleiben können“

Jahresbericht 2021
Elterntraining

Meist hören sie einfach zu, hin und wieder schlichten sie Streit, sie sind Ratgeber*innen und vermitteln zwischen den Kulturen. Vor allem sind Melisa Budimlic und Frederic Lwano Elterntrainer*innen bei Refugio München. Sie helfen Eltern in verschiedenen kulturellen Kontexten ihre Kinder zu erziehen.

Mukoso sitzt am Sandkasten eines Spielplatzes in München und versteht seine vierjährige Tochter nicht. Ständig wirft sie mit Sand nach ihm. Dabei hat er sich doch heute extra Zeit genommen, um mit ihr auf den Spielplatz zu gehen. Und jetzt ist die Kleine wütend. Wie so oft, wenn er da ist und sich einmal für sie Zeit nehmen möchte. Immer läuft es schief! Ist er ein schlechter Vater?

„Nein, es braucht einfach nur Verständnis!“, sagt Frederic Lwano. Er hat Mukoso im vergangenen Jahr im Elterntraining beraten und ihm Techniken gezeigt, um sich besser in seine Tochter hineinversetzen zu können. In Rollenspielen und Positionsübungen sprechen Frederic Lwano und der junge Vater aus dem Kongo über Wünsche, Erwartungen und Enttäuschungen, die Eltern und Kinder haben können. Durch das Training gelingt es dem Vater nach einigen Monaten, die Beziehung zu seiner Tochter zu verbessern. Die Besuche bei ihr bereiten ihm jetzt mehr Freude. Immer häufiger spielt er zusammen mit seiner Tochter. Sie scheint ihn immer stärker in ihr Herz zu schließen.

„Ich will die Menschen, mit denen ich arbeite, verstehen“, sagt der Elterntrainer. „Jeder Mensch hat seine Geschichte und Biografie. Die akzeptiere ich. Ich gebe den Menschen das Gefühl, dass wir über alles reden können. Zusammen finden wir eine Lösung, wie wir die Beziehung zwischen Eltern und Kindern verbessern können.“

Das festangestellte Team des Refugio Elterntrainings. Dazu kommen noch über 40 Honorarmitarbeiter*innen.

Elterntrainerin Melisa Budimlic berichtet von einem anderen Fall aus dem letzten Jahr, der ihr in Erinnerung geblieben ist: Sausan ist 12 als sie nach Deutschland kommt. In Syrien, wo sie geboren ist, herrscht Krieg. Zusammen mit ihrem Onkel flüchtet sie nach Deutschland, ohne ihre Mutter und ihre kleinen Geschwister. In Deutschland angekommen, kann Sausan zunächst in der Familie ihres Onkels leben. Doch Sausan kommt mit der Frau ihres Onkels nicht zurecht. Sie wird geschlagen. Das Mädchen holt sich Hilfe und darf die Familie verlassen. Sie zieht in eine spezielle Wohngruppe nur für Mädchen.

Das Leben in der Wohngruppe gefällt ihr gut. Sie hat einen sicheren Ort, Tagesstruktur und Zeit für Freundinnen und Hobbies. Sie will in der Wohngruppe bleiben, auch als ihrer Mutter die Flucht nach Deutschland gelingt und sie Sausan zu sich in die Gemeinschaftsunterkunft holen möchte. Sausan ist jetzt schon 16. Sie möchte nicht zu ihrer Mutter und den kleinen Geschwistern in die Gemeinschaftsunterkunft ziehen.

Sausans Mutter, die am Elterntraining von Refugio München teilnimmt, kann die Reaktion ihrer Tochter zunächst gar nicht verstehen. Sausan ist ihre Tochter. Sie sind doch eine Familie. Und nun könnten sie endlich wieder alle zusammen leben.

Elterntrainerin Melisa Budimlic hat Sausan und ihre Mutter betreut. Sie erzählt: „Sausans Reaktion passte zunächst überhaupt nicht in die bisherige Lebensrealität der Mutter. Jetzt, wo sie in Deutschland war, wollte sie ihre Tochter wieder zu sich nehmen. Aber die Vormundschaft für das Mädchen lag nun erstmal beim Stadtjugendamt. Und die Tochter fand es sogar ganz gut, in einer Wohngruppe zu leben. Sie nahm ihr neues Leben als freier wahr als im heimatlichen Kontext. Zu der Mutter hatte sie zunächst gar keinen Bezug mehr.“

Im Elterntraining lernt die Mutter, die Bedürfnisse von Sausan besser zu verstehen und sich auf ihre Tochter einzustellen. Das Verhältnis der beiden entwickelt sich positiv, berichtet Melisa Budimlic. Mittlerweile kommt die Tochter nun sogar manchmal zum Elterntraining dazu, um Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen.

„Im Elterntraining analysieren wir die neuen, erstmal unbekannten Anforderungen an die Eltern und vergleichen sie mit den Wertvorstellungen, die die Eltern aus ihrem bisherigen Leben kennen. Vielleicht kommen wir dann zu dem Schluss, dass das Verhalten angepasst werden muss. Es geht uns darum, dass Eltern weiterhin gute Eltern bleiben können, wenn sie mit neuen Erziehungsanforderungen konfrontiert werden.“