Politisch? Schwierig!

Politische Arbeit
Jahresbericht 2023

Das Jahr 2023 war politisch nicht einfach, ob auf europäischer Ebene oder in der nationalen Gesetzgebung.

Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. Deshalb verstehen wir uns bei Refugio München als Facheinrichtung und Menschenrechtsorganisation. Unser Engagement zielt darauf ab, eine bessere psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung Asylsuchender zu erreichen und Geflüchteten die Wahrnehmung ihrer Rechte zu ermöglichen. Dieses Engagement war im Jahr 2023 nicht einfach und wir und damit alle, die sich für das Recht auf Asyl und Menschen auf der Flucht einsetzen, mussten uns vor allem gegen Verschlechterungen einsetzen.

GEAS oder der EU-ASYLDEAL

Im Juni 2023 hatten sich die Innenminister*innen der EU-Staaten auf eine Reform des GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) geeinigt:
Für Asylsuchende, die aus Ländern mit einer Schutzquote unter 20% kommen, sind Grenzverfahren vorgesehen. In einer sogenannten „Krise“ betrifft es Herkunftsländer mit einer Schutzquote unter 75%. (Krise laut Krisenverordnung: „massenhafter Anstieg der Zahl von Drittstaatsangehörigen, die irregulär in einem Mitgliedsstaat oder nach einer Seenotrettung ankommen“ oder ein immanentes Risiko einer solchen Situation.) Grenzverfahren sind beschleunigte Verfahren. Die Betroffenen haben dann nur einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsmitteln gegen ablehnende Asylbescheide. Die Schutzsuchenden im Grenzverfahren werden unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten. Wie in diesen Verfahren besonders schutzbedürftige Asylsuchende, also traumatisierte, (psychisch) kranke Menschen, Opfer von Folter, Menschenhandel oder LGBTIQ*-Personen identifiziert werden sollen, ist nicht geregelt. Diese Personen haben aber laut EU-Recht besondere Schutzrechte. Gegen diese GEAS Reform gab es massive Proteste aus allen Bereichen von Menschenrechtsorganisationen, auch Refugio München hat sich diesen Protesten angeschlossen.

Streichung der finanziellen Förderung

Zugleich, auch im Sommer 2023, gab es Pläne aus der Bundesregierung die Förderung von psychosozialen Zentren massiv und zwar um 60 Prozent zu kürzen. Hier haben wir Gespräche mit Politiker*innen geführt, den Kontakt gesucht, vermittelt warum diese Kürzungen am Ende mehr finanziellen Schaden bringen würden. Zum Teil waren wir erfolgreich: Es gab Kürzungen, aber eine reduzierte Förderung der psychosozialen Zentren bleibt. Dennoch ist für viele Organisationen die finanzielle Lage mehr als prekär und die katastrophale psychosoziale Versorgung Geflüchteter wird eher schlechter als besser.

Asylrechtsverschärfungen

Ende des Jahres mussten wir massive Asylrechtsverschärfungen den Bundestag passieren sehen. Die Einschränkungen der Gesundheitsleistungen für Asylsuchende werden von 18 auf 36 Monate verlängert. Bei der Suche nach Abzuschiebenden darf die Polizei alle Räume einer Unterkunft durchsuchen. Und die Pläne zu einer Bezahlkarte stigmatisieren Geflüchtete.

Man kann sich die Konsequenzen so vorstellen: Bei einer nächtlichen Durchsuchung in einer Unterkunft stehen voll bewaffnete Polizist*innen auf einmal im Zimmer eines Kindes und seiner Mutter – die beiden werden zwar nicht gesucht, haben aber das Pech in derselben Unterkunft wie ein Abzuschiebender zu wohnen. Dem Kind geht es nach dieser Nacht schlecht, es hat Bauchschmerzen aufgrund der schlimmen Erlebnisse. Da die medizinische Versorgung aber für Asylsuchende eingeschränkt ist und sie erst einen Behandlungsschein vom Sozialamt für den Arztbesuch brauchen, kann die Mutter mit dem Kind nicht einfach zum Arzt gehen. Sie selbst ist auch traumatisiert, psychosoziale Hilfe ist aber nicht verfügbar. Ein Ausflug als Ablenkung für das Kind ist auch nicht möglich, da sie mit der Bezahlkarte nur in ganz bestimmten Geschäften zahlen kann.

Zu hoffen bleibt, dass die massenhaften Proteste Anfang 2024 gegen den Rechtsruck auch die Solidarität mit Geflüchteten stärken. Demokratie heißt auch die zu schützen, die kein Wahlrecht haben. Wir wollen weiterhin Aufmerksamkeit und Solidarität für die Situation von Geflüchteten in Deutschland, an den europäischen Außengrenzen und auf der Flucht schaffen. Die Hoffnung auf Verbesserung geben wir nicht auf und das treibt uns in unserer politischen Arbeit an.

Jürgen Soyer (ganz vorne rechts) in Berlin bei einem parlamentarischen Austausch mit den Regierungsfraktionen (Filiz Polat (Grüne), Helge Lindh (SPD), Stephan Thomae (FDP), v.l.n.r.)
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (links) besucht Refugio München, geredet wird über die katastrophal mangelnde Situation an Therapieplätzen für Geflüchtete in Bayern.