Helfen ist auch politisch

Jahresbericht 2022
Politische Arbeit

Wenn die Seele nicht in Sicherheit ist.

Sehr viele Menschen mit Fluchterfahrung sind psychisch extrem belastet und nach Verfolgung, Folter und Flucht traumatisiert: Sie haben grausame Gewalt durch andere Menschen erfahren und gesehen. Studien zufolge sind mindestens dreißig Prozent der geflüchteten Erwachsenen von depressiven Erkrankungen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen, bei Kindern und Jugendlichen dürfte die Zahl noch höher sein. Gleichzeitig erschweren die Lebensbedingungen während des Asylverfahrens die Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen: Asylsuchende müssen in Massenunterkünften wohnen – oft jahrelang; einige dürfen nicht arbeiten; sie werden als Fremde diskriminiert, können ihre Zukunft nicht planen und sind in hohem Maße abhängig von Behörden.

Die erlittenen grausamen Erlebnisse werden im Asylverfahren nicht immer berücksichtigt, sodass Viele unter großer Angst leben, in das Land zurückkehren zu müssen, in dem sie in der Vergangenheit Schreckliches erlebt haben.  Denn die Asylrechtsverschärfungen aus den Jahren 2016 und 2019 erschweren es Asylsuchenden extrem, gravierende psychische Erkrankungen und Traumatisierungen im Asylverfahren geltend zu machen. Wir setzen uns gemeinsam mit unserem Dachverband BAfF auf Bundesebene für eine Änderung dieser aktuell sehr restriktiven Gesetzeslage ein. Menschen, die schwer erkrankt sind, dürfen nicht von Abschiebung bedroht sein, sie müssen die Möglichkeit einer Psychotherapie und medizinischen Behandlung haben. Das gebieten die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN, die UN-Antifolterkonvention, die europäische Menschenrechtskonvention und unser Grundgesetz.

Über die Aufnahme, Versorgung und Integration von Geflüchteten werden in Politik und Zivilgesellschaft immer wieder emotional aufgeladene Diskussionen geführt. Gleichzeitig zwingen Kriege, bewaffnete Konflikte, Diktaturen, Terror und Hunger mehr und mehr Menschen zur Flucht. In diesem Spannungsfeld müssen wir uns als Facheinrichtung bewegen. Denn die allermeisten traumatisierten Asylsuchenden haben keinen Zugang zu Therapie und psychosozialer Beratung. Eine medizinische Behandlung von Asylsuchenden muss in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland von den jeweiligen Sozialämtern genehmigt werden. Wenn es um Psychotherapie geht, braucht es umfangreiche Antragspapiere von Fachärzt*innen, deren Bearbeitung in den Behörden oft Monate dauert und die Genehmigung der Kostenübernahme liegt im Ermessen nicht medizinisch geschulter Sachbearbeiter*innen. Dasselbe gilt für die Sprachmittlung, deren Finanzierung ebenso aufwändig wie langwierig beantragt werden muss. Damit psychotherapeutische Hilfe keine Frage des Zufalls ist, brauchen wir mehr Therapieplätze für Menschen mit Fluchterfahrung. Deshalb setzen wir uns bayern- und bundesweit für eine bessere Finanzierung von psychosozialen Zentren für Geflüchtete ein. Es muss mehr Angebote geben, damit Menschen auch während des Asylverfahrens die ihnen zustehende psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung erhalten.

Wenn wir Geflüchtete möglichst früh nach der Ankunft in Deutschland in Therapie aufnehmen können, sind ihre Fortschritte beeindruckend: Sie erholen sich, wenn sie in eine geeignete Unterkunft kommen. Sie stabilisieren sich psychisch, wenn sie schnell psychosoziale Hilfe bekommen. Sie können durch Therapie die Vergangenheit verarbeiten und sich der Zukunft zuwenden. Wir sehen, wie wirksam die Therapie für erkrankte Menschen ist und wie gut vor allem frühzeitige Hilfe wirkt, um eine Chronifizierung oder schon die Erkrankung zu verhindern. Deshalb setzen wir uns politisch für die systematische frühzeitige Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden in allen Erstaufnahmeeinrichtungen ein, wie wir es mit dem Konzept von SoulCaRe in München bereits erfolgreich durchführen. Zur Identifizierung gehören auch zwingend entsprechende bedarfsgerechte Maßnahmen bei der Unterbringung und im Asylverfahren.

Frühzeitige Identifizierung, ausreichend Therapieplätze und das Recht auf ein Leben in Sicherheit für traumatisierte Geflüchtete, das sind ambitionierte Ziele unserer politischen Arbeit. Die Motivation für unser Engagement sind die Klient*innen, für die wir das bereits erreichen konnten und der Motor die, für die wir es noch erreichen wollen.

BAMF

Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, um die Gesetzeslage für psychisch erkrankte Geflüchtete zu diskutieren. (V.l.: Dr. Eva Britting-Reimer (BAMF), Jürgen Soyer & Heike Martin (Refugio München), Lukas Welz (BAfF), Dr. Hans-Eckhard Sommer (Präsident BAMF), Laura Hilb & Elise Bittenbinder (BAfF), Johanna Vogler (BAMF))