Hilfe für vulnerable Geflüchtete von Anfang an

Jahresbericht 2021
SoulCaRe – Früherkennung in der Erstaufnahme

Seit 2013 schreibt eine EU-Aufnahmerichtlinie die Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse von psychisch erkrankten Schutzsuchenden, bzw. Opfern von Gewalt vor. Eine strukturelle Identifizierung der Betroffenen oder ein Konzept für bedarfsgerechte Maßnahmen gab es bisher aber nicht. Nach zwei Jahren Vorbereitungs- und Konzeptarbeit sowie Überzeugungsarbeit von Behörden und Regierung hat Refugio München im Januar 2021 das Projekt SoulCaRe in der Kurzaufnahme für Geflüchtete in München gestartet.

Die Früherkennung psychischer Erkrankungen von Asylsuchenden, insbesondere wenn sie im Zusammenhang mit körperlicher und psychischer Gewalterfahrung stehen, ist aus verschiedenen Gründen nicht einfach. Die Erlebnisse von Gewalt durch andere Menschen haben die Betroffenen oft in den Grundfesten ihres Vertrauens in andere Menschen erschüttert. Opfer von sexueller Gewalt, Folter oder anderen traumatischen Erfahrungen können sich traumabedingt weder schnell noch einfach anderen Personen anvertrauen. Psychische Erkrankungen und Gewalterfahrungen erfordern eine hohe Fachkompetenz in der Kontaktaufnahme, in der Gesprächsführung und der fachlichen Einschätzung, um abschließend beurteilen zu können, ob jemand psychisch erkrankt ist und welche besonderen Bedürfnisse sich daraus ergeben.

Jahrelange Erfahrungen unserer Therapeut*innen im Behandlungszentrum haben gezeigt, dass unsere Klient*innen häufig viel zu spät Hilfe erhalten. Bei vielen Betroffenen verschlechterte und chronifizierte sich die psychische Erkrankung durch eine für sie ungeeignete Unterbringung und ihre unsichere Aufenthaltssituation, obwohl besonders vulnerable Geflüchtete laut der Aufnahmerichtlinie ein Recht auf Behandlung und Berücksichtigung ihrer Erkrankung haben. Oft hatten sie schon eine Ablehnung im Asylverfahren erhalten, weil sie über ihre traumatischen Erlebnisse der Flucht und Verfolgung in der Anhörung nicht sprechen konnten. Dabei haben viele eine gute Bleibeperspektive, wenn sie dazu in der Lage sind, das Erlebte vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorzutragen. Das geht jedoch häufig erst nach einer guten psychosozialen Vorbereitung. Auch die Erkrankung selbst kann zu einem Bleiberecht führen.

Das SoulCaRe Team in der Erstaufnahme

Das im Januar 2021 gestartete Pilotprojekt von Refugio München SoulCaRe setzt hier an: Asylsuchende, die in Oberbayern verbleiben, sind für ca. zwei Wochen in der sogenannten Kurzaufnahme in München. Ein Team von Refugio München ist vor Ort, um in dieser kurzen Zeit traumatisierte und psychisch erkrankte Geflüchtete zu identifizieren und zu unterstützen.

Psychisch erkrankte Menschen sind oft in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt und auf Grund ihrer traumatischen Erfahrungen misstrauisch oder schambesetzt. Bei SoulCaRe treten drei psychosoziale Peer-Berater*innen, die eigene Fluchterfahrungen haben, mit neu angekommenen Asylsuchenden kultur- und kontextsensibel in Kontakt. Sie bewegen sich im öffentlichen Raum der Einrichtung, suchen die Bewohner*innen aber auch direkt auf, um besonders belastete Personen, die sich stark zurückgezogen haben, ausfindig zu machen. Die eigene Fluchterfahrung der Peer-Berater*innen ermöglicht einen leichteren Zugang und schafft Vertrauen, vor allem bei traumatisierten Neuangekommenen.

Wenn Personen psychisch belastet wirken, wird die Diagnostik von den Fachärzt*innen oder approbierten psychologischen Psychotherapeut*innen im Team durchgeführt. Dabei helfen, wie es bei Refugio München üblich ist, bei Bedarf Dolmetscher*innen als Sprach- und Kulturmittler*innen. Wird eine mittlere bis schwere psychische Erkrankung diagnostiziert, übermittelt das SoulCaRe Team Empfehlungen über besondere Bedarfe der Person bei Unterbringung und Anhörung an die zuständigen Behörden.

Die Pilotphase des Projektes läuft bis Juli 2022. Die Vorergebnisse einer begleitenden Evaluation durch das Institut IPP München (Institut für Praxisforschung und Projektberatung) zeigen eine gute Wirksamkeit des Projektes für die Betroffenen auf. Auch Behörden und Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen berichteten von einer Verbesserung für die Geflüchteten, aber auch bei Behördenabläufen. Daher hoffen wir auf eine Verstetigung der Früherkennung mit dem Fokus auf bedarfsgerechte Maßnahmen.