„Niemand verlässt gern seine Heimat“
Milka Tisma hat sich 2019 entschieden, unsere Stiftung Chancenreich zu unterstützen. Ihre persönliche Geschichte ist eng mit der von Refugio München verbunden.
Frau Tisma, unser Behandlungszentrum entstand Anfang der 1990er Jahre, als viele Menschen aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawiens nach Deutschland kamen. Auch Sie wurden dort geboren. Wo genau?
Ich bin im damaligen Jugoslawien geboren, ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In einem kleinen Dorf, das heute an der kroatisch-bosnischen Grenze liegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten wir dort nicht mehr leben, weil Vieles zerstört war. Also wurde meine Familie umgesiedelt in die Region Vojvodina. Das liegt im heutigen Serbien. Ich war damals drei. Meine Eltern haben durch die Umsiedlung ihren gesamten Besitz verloren. In Vojvodina arbeiteten sie als Tagelöhner.
Wie kamen sie dann nach Deutschland?
Als so genannte Gastarbeiterin. Wie damals üblich, hatte ich früh geheiratet. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass die Ehe nicht das Richtige war. Ich wollte etwas aus meinem Leben machen und als Frau nicht irgendwelchen Rollenbildern folgen. Ich hatte einen guten Abschluss und eine medizinische Ausbildung gemacht. Deutschland suchte damals händeringend nach medizinischem Fachpersonal. Ich hatte Deutsch in der Schule gelernt. Mit diesen Voraussetzungen ging alles einfach und ich bekam einen Vertrag an einer Klinik in Bremen. In Belgrad stieg ich in den Zug und fuhr los. Übrigens musste ich in München umsteigen. Haben Sie mal vom Gleis 11 gehört? Unter dem Gleis liegt ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Dort kamen wir Gastarbeiter an und wurden regelrecht abgefertigt. Zum Umsteigen wurden wir nicht nach Namen, sondern nach Nummern aufgerufen. Das habe ich mir nicht gefallen lassen und geantwortet: „Vielleicht hat die Nummer auch einen Namen?“
Wie war die Situation damals für Menschen anderer Herkunft in Deutschland?
Die Menschen in Deutschland waren sehr distanziert. Ich wollte eigentlich nur Geld verdienen und nach zwei Jahren zurück nach Hause. Wissen Sie, niemand verlässt gern seine Heimat. In Bremen habe ich als Krankenschwester in einem Klinikum gearbeitet. Beim Blick auf meinen ersten Gehaltszettel war ich schockiert. Das war viel weniger, als man mir versprochen hatte. Ich fand das ungerecht und bin mit meinem Gehaltszettel ins Rathaus gegangen. Dort meinten sie zu mir: „Frau Tisma, Sie haben den Lohn einer Putzfrau bekommen, nicht den einer Krankenschwester.“ Die Klinik wurde überprüft und meine Kolleginnen und ich bekamen den vollen Lohn. Seit dieser Zeit hat sich die Situation für zugewanderte Menschen in Deutschland verbessert. Ich denke, wir Gastarbeiter haben viel Vorarbeit geleistet. Deutschland ist offener geworden. Seit 2015 spüre ich aber, dass Diskriminierung und Rechtsextremismus wieder stärken werden. Mittlerweile lebe ich seit über 50 Jahren in Deutschland, aber manchmal fragen mich Menschen: „Was suchen Sie noch hier? Gehen Sie zurück in Ihre Heimat.“
Wie sind Sie zu Refugio München gestoßen?
Die Initiative für Flüchtlinge entstand ja Mitte der 80er Jahre. Ab 1990 kamen dann immer mehr traumatisierte Menschen aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawiens nach München. Zu der Zeit lebte ich schon in München und hatte eine Praxis als Psychotherapeutin. Ich war die einzige niedergelassene Psychotherapeutin in München, die Serbokroatisch sprach. Natürlich kamen die vielen Frauen, die aus dem Krieg geflohen waren, in meine Praxis. Das waren sehr harte Schicksale. Die Frauen waren von serbischen Milizen misshandelt und vergewaltigt worden. Viele von ihnen habe ich später an Refugio München vermittelt.
Und nun haben Sie entschieden, Refugio München sogar in Ihrem Testament zu bedenken. Ist sowas eigentlich kompliziert?
Das ist wirklich keine große Sache. Mein Mann und ich haben das Testament bei einer Anwältin aufgesetzt. Das waren ein paar Sätze, und fertig. Ein Exemplar davon liegt bei uns in der Schublade und ein anderes ist sicher beim Notar verwahrt. Ich mag das Ziel der Stiftung, irgendwann ein eigenes Haus für Refugio in München zu kaufen. Ein Ort, an dem alle zusammen sind. Das kenne ich vom Bellevue di Monaco, wo ich auch aktiv bin. Dort sehe ich, wie wertvoll so ein Gemeinschaftsort für die geflüchteten Menschen ist. Mit meinem Nachlass möchte ich diesen Traum unterstützen.
Liebe Frau Tisma, vielen Dank für das Gespräch und Ihr Engagement bei uns!
Sie interessieren sich für unsere Stiftung ChancenReich?
Annette Hartmann freut sich auf Ihren Anruf oder Ihre Nachricht:
Telefon: 089/98 29 57-21
E-Mail: annette.hartmann@refugio-muenchen.de