Mehr als ein Fotokurs – von Paul Kuhlmann
An einem kalten Nachmittag im Februar stehe ich vor der Eingangstür der Refugio Kunstwerkstatt. Hier findet der Fotoworkshop für geflüchtete Kinder und Jugendliche statt. Heute möchte ich einige der Teilnehmenden kennenlernen. Wer sind sie und warum kommen sie regelmäßig zum Fotoworkshop?
Nach intensiver Suche hat die Refugio Kunstwerkstatt Anfang 2021 neue Räumlichkeiten gefunden. Und die können sich sehen lassen: In dem über 100 Jahre alten ehemaligen Münchner Gesundheitshaus entsteht gerade ein Zentrum für Kunst und Kultur mit Ausstellungsbereichen für Münchner Künstler*innen. Auf knapp 9.000 Quadratmetern und direkt in der Münchner Innenstadt. Die Refugio Kunstwerkstatt hat hier ihren Platz gefunden.
Am Eingang treffe ich zunächst auf Mustafa, einen jungen Mann um die 20. Er lächelt mich fröhlich an. Wir kommen direkt ins Gespräch. Mustafa erzählt mir, dass er seit etwa eineinhalb Jahren regelmäßig zum Workshop kommt. Ein Freund hat ihm im Herbst 2019 vom Kino Asyl erzählt, dem Filmfestival, das Refugio München jedes Jahr mit dem Münchner Medienzentrum veranstaltet. Geflüchtete kuratieren hier Filme aus ihren Heimatländern. Mustafa gefiel die Idee sofort und er wollte mitmachen. Er entschied sich für den Film „Ghost hunting“ über den Umgang mit politischen Gefangenen in Palästina und wollte den Film live vor Publikum anmoderieren. Doch dann kam Corona. Das Kino Asyl musste online stattfinden. „Das war nicht dasselbe,“ erklärt mir Mustafa mit enttäuschtem Blick. Zum Glück blieb es nicht dabei. Seit einem Jahr kommt er regelmäßig zum Fotoworkshop. Mustafa nutzt unser Angebot, um neue Kontakte zu knüpfen und Orte in München zu entdecken: „Hier kann ich Leute kennenlernen. Beim Fotografieren geht das gut, gerade wenn wir draußen in der Stadt unterwegs sind.“ Den Fotoworkshop nutzt er auch, um eine Arbeit zu finden. Er zeigt mir Bewerbungsfotos für eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Die Bilder hat er hier gemacht.
„Hallo, ich bin Ibrahim“, begrüßt mich nun ein junger Mann, der gerade durch die Tür kommt. Er erzählt, dass er aus Nordsyrien kommt und als Kurde erst vor dem IS und dann vor dem Assad Regime fliehen musste. Als ich ihn frage, warum er regelmäßig zum Fotoworkshop kommt, holt er sofort sein Handy aus der Tasche und hält es mir stolz hin. Sein Instagram Profil ist voller Fotos, die er in der Münchner Innenstadt gemacht hat. Einige schwarz-weiß Bilder: das große Riesenrad im Werksviertel, der Königsplatz. Dazu hat er Porträt-Bilder von Menschen in München gemacht: „Ich frage manchmal einfach Leute, ob ich sie fotografieren darf. Die meisten sagen Ja.“ Ibrahim ist offensichtlich fotobegeistert und sehr talentiert. Im Fotoworkshop kann er sein Talent weiterentwickeln und bekommt so mehr Selbstvertrauen.
Neben Mustafa und Ibrahim sind noch einige weitere Jugendliche im Raum. Zum Beispiel zwei Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt. Etwas verlegen stehen sie vor dem riesigen Fotodrucker. Die eine hat gerade Porträtbilder von ihrer Freundin gemacht, draußen im Innenhof vor einer großen Graffitiwand. Max Kratzer, der den Fotoworkshop seit über 10 Jahren leitet, hat den beiden dabei geholfen und zieht nun die fertig entwickelten Bilder dem Drucker. „Das hier ist super“, sagt Max und reicht ihnen ein fertiges Bild. Darauf zu sehen ist eines der Mädchen. Selbstbewusst blickt sie in die Kamera. Nun mustert sie das Bild, noch immer verlegen, aber auch mit Stolz erfüllt. „Möchtest Du mal Fotografin werden?“, frage ich. Sie überlegt. „Fotografin oder Kindergärtnerin.“
„Die Kids sollen hier Spaß haben, raus kommen aus den Unterkünften und mit unseren Fotoapparaten die Stadt entdecken. Das Angebot halten wir bewusst niedrigschwellig, damit viele mitmachen können“, erklärt Max. Der Workshop bietet den Kindern wertvolle pädagogische Unterstützung. Das ist besonders wichtig, da viele der Kinder in unsicheren, teils prekären Lebensverhältnissen aufwachsen. „Oft reden wir über Probleme zu Hause oder Stress in der Schule. Es gibt Tage, an denen reden wir mehr als zu Fotografieren“, sagt Steffi Uhlenbrock. Sie ist auch Fotografin und betreut mit Max die Jugendlichen und leitet sie an. Es kommt vor, dass ein Kind Anzeichen für psychische Probleme zeigt. Dann stimmen sich die beiden Kursleiter*innen mit den therapeutischen Fachstellen von Refugio München ab, erklärt Max: „Unser Workshop ist eben mehr als ein Fotokurs.“