Interkulturelles Pendeln

Ein zentraler Aspekt der Arbeit von Refugio München ist die kultursensible Arbeit mit Eltern durch Psychotherapeut*innen und Sozialarbeitende. Bei geflüchteten Familien und ihren Kindern spielt neben der konkreten Hilfe im Kontakt mit Behörden, der Beratung im Asylverfahren und weiteren praktischen Unterstützungen auch der Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe eine wichtige Rolle. Um die Eltern individuell beraten zu können, ist das Modell des Interkulturellen Pendelns (von B. Abdallah-Steinkopff, S. Krasniqi) eine hilfreiche Kommunikationstechnik. Das oftmals fehlende Wissen über hiesige Strukturen und gesellschaftliche Prozesse, Erwartungen von Institutionen wie Kitas und Schulen führt immer wieder zu Problemen und Missverständnissen auf beiden Seiten, da Situationen vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund bewertet und mit entsprechenden Vorstellungen interpretiert werden.

Interkulturelles Pendeln ist eine Haltung und zugleich eine Methode, in der Fragen zur Herkunftskultur der Klient*innen gestellt werden, um ihre Erfahrungen und kulturellen Einstellungen zu verstehen.

 

Im Gespräch wird dann in die hiesige Kultur gewechselt und es findet ein Austausch darüber statt, wie Einstellungen und Erwartungen in bestimmten Zusammenhängen hier sind. In einem dritten Schritt werden dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Dabei wird geklärt, welche kulturellen Haltungen der Herkunftskultur erhalten bleiben sollen und wo es Veränderungen und Anpassungen an die hiesige Gesellschaft benötigt.
Die Familienstelle von Refugio München betreut Kinder und ihre Familien, die psychotherapeutisch angebunden sind. Alle Familien, die wir beraten, haben in der Vergangenheit multiple Belastungen erlebt und für sie ist das Interkulturelle Pendeln ein sehr hilfreiches Instrument.

Zum Beispiel treten im Zusammenhang mit Schule und Lehrkräften häufig Missverständnisse auf, was die Erwartungen an Eltern seitens der Institutionen angeht.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Frau K, eine alleinerziehende Mutter eines Kindes, das die erste Klasse besucht, ist seit knapp einem Jahr bei Refugio München. Sie kommt zusätzlich zur Therapie für sich und ihr Kind auch in die sozialpädagogische Beratung. Frau K. berichtet, dass es ein Entwicklungsgespräch in der Schule gegeben hätte. Sie war irritiert, dass die Klassenlehrerin mehrfach nachgefragt hat, wie oft sie mit ihrem Kind spiele. Die junge Mutter erzählt, dass sie ausweichend geantwortet hat, weil sie doch selbst kein Kind sei, das spielen wolle und nicht wusste, welche Antwort die Schule hören wollte.

tanja Lüders

Im ersten Schritt besprechen wir, wie das Spielen in der Herkunftsgesellschaft war. Frau K. erzählt, dass alle Kinder spielen wollen und dass sie das von zu Hause kennt. Sie erinnert sich, dass sie als Kind immer mit Kindern aus der erweiterten Familie gespielt hat und außerdem mit Nachbar*innen, Eltern hätten allerdings nicht mit ihren Kindern gespielt. So klären wir, wer mit Kindern in ihrem Herkunftsland gespielt hat und kommen zu der Frage, wer diese Aufgabe jetzt übernimmt, da die erweiterte Familie nicht mehr da ist.

Im nächsten Schritt wird der deutsche Kontext besprochen und veranschaulicht, dass es bei den Fragen der Schule um Entwicklungsförderung und Fürsorgeverhalten geht. Frau K. erklärt, dass sie gelernt hat, dass eine gute Mutter ihre Kinder gut anzieht und gut ernährt und dass das in ihren gesellschaftlichen Vorstellungen Fürsorge für Kinder ist. Wir sprechen darüber, dass zum deutschen Fürsorgeverhalten für Kinder Spielen gehört und dass es üblich ist und erwartet wird, dass auch Eltern mit ihren Kindern spielen. Wir klären auch, dass man in deutschen Schulen Spielen auch als Förderung zum Lernen versteht. Frau K. erzählt, dass ihre eigenen Eltern sie immer darin unterstützt hätten, früh schreiben und lesen zu lernen, anstatt nur zu spielen. Aber sie kann verstehen, dass Kinder durch Spielen auch lernen, z.B. Regeln, Geschicklichkeit, Geduld, Konzentration oder auch Gedächtnisleistung, Fantasie sowie Motorik. So werden gemeinsam die Vorstellungen abgewogen und Überlegungen angestellt, was aus welcher Kultur übernommen oder beibehalten werden kann, um das Kind weiter bestmöglich zu unterstützen.

So ist das Interkulturelle Pendeln eine wichtige Methode und Haltung in der Beratung, damit das Miteinander gut gelingt.

Tanja Lüders, Sozialpädagogin in der Familienstelle

Lesen Sie auch das Interview mit Barbara Abdallah-Steinkopff zum Interkulturellen Pendeln