Stark bleiben

Interview

Die Hilfe für traumatisierte und psychisch erkrankte Geflüchtete ist wegen der schweren Schicksale und der vielen sozialen Themen meist nur im Team möglich. Bei Refugio München unterstützen sich unsere Mitarbeiter*innen gegenseitig und arbeiten Hand in Hand. Externe Supervision gehört da auch dazu. Ein Gespräch mit Supervisorin Renate Graf erläutert, wie eine solche externe Unterstützung funktioniert und abläuft.

 

Renate, du hast schon häufig bei Refugio München Supervision gemacht. Welche Fachkräfte betreust du generell?

Hauptsächlich Sozialpädagog*innen, aber auch Psycholog*innen, Politolog*innen, Ethnolog*innen oder Mediziner*innen, die mit Geflüchteten arbeiten.

Die Menschen in diesen Bereichen müssen sich wie die Mitarbeiter*innen bei Refugio München mit furchtbaren Schicksalen auseinandersetzen. Wie hilfst du ihnen dabei?

Das Wichtige ist, sich die eigenen Gefühle erstmal klarzumachen, zu spüren und mitzuteilen. Die ressourcenorientierte Arbeit ist sehr wichtig, dass man sich nicht nur auf die schrecklichen Dinge konzentriert, sondern auch auf die unfassbar vielen Ressourcen, die Geflüchtete haben, sonst hätten sie die Flucht nicht geschafft.

Eine der Aufgaben von Supervision ist auch, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Überlastung zu schützen. Wichtig ist dabei der systemische Gedanke, also in welchem Umfeld befindet sich die Person, um die es geht, z.B. die Familie, eine Religionsgemeinschaft oder die eigene Community. Und wo kann die Person dort auch Unterstützung bekommen.

Wie läuft so eine Supervision ganz praktisch ab?

Ich mache am Anfang eine Befindlichkeitsrunde. Es ist wichtig zu wissen, wie es meinen Kolleginnen und Kollegen geht, gerade in Corona-Zeiten. Wenn jemand alleinerziehend ist und zwei Kinder in Quarantäne hat, ist das eine andere Arbeitssituation.

Und dann erarbeiten wir einen Fall oder ein Thema. Ich höre erst einmal zu und stelle Fragen über die jeweiligen Klient*innen, z.B. wie sprechen sie Deutsch oder wie ist die Rollenverteilung in der Familie. Wir tragen die Informationen zusammen und dann ist meine Aufgabe, dem eine Struktur zu geben und die Themen zu priorisieren. Das Ziel geben die Kolleginnen und Kollegen vor und wir erarbeiten gemeinsam wie man das in kleinen Schritten erreicht. Wir klären auch, was ist meine Aufgabe als Sozialarbeiter*in und was muss jemand anders machen, wie z.B. das Sozialamt. Wir arbeiten häufig daran, wie man sich abgrenzen kann.

Wir hatten zum Beispiel mal den Fall einer geflüchteten Person, die schwer krank war, die Operation war endlich organisiert und dann wurde sie in eine andere Stadt verlegt. Einfach so aus bürokratischen Gründen, da verzweifelt man fast. Aber dann müssen wir daran arbeiten, aus der hilflosen Wut zu kommen, die nächsten Schritte definieren, evtl. andere Unterstützung organisieren und wieder in Aktion treten.

Renate Graf

Renate Graf ist Diplom Psychologin und hat eine Zusatzausbildung in systemischer Paar- und Familientherapie. Sie arbeitet seit vielen Jahren unter anderem als Supervisorin für Sozialarbeitende, die in Unterkünften für Geflüchtete tätig sind und hat auch schon bei Refugio München Teams begleitet.

 

Was sind die Voraussetzungen, damit die Supervision funktioniert?

Das Allerwichtigste ist Vertrauen. Supervision ist ein geschützter Raum und es geht nur unter absoluter Schweigepflicht, das gilt für mich und alle Kolleg*innen in der Gruppe. Ein gewisses Vorwissen über die Situation von Geflüchteten ist für mich auch hilfreich. Es ist schon gut zu wissen wie eine Geflüchtetenunterkunft aussieht.  Und da ich oft die Tränen der anderen erbe, habe ich auch selber Supervision.

Welche ganz konkreten Tipps hast du für Haupt- aber auch für Ehrenamtliche, die Geflüchteten helfen, damit sie selbst die Belastung aushalten können?

Wer in dem Bereich arbeitet, muss selbst stark bleiben. Das ist eine Sache der Selbstfürsorge und das heißt abgrenzen, für Pausen sorgen, für sich selbst sorgen und Distanz zu den Schicksalen bekommen. Einige machen Sport, andere machen Musik oder irgendein anderes Hobby. Das würde ich allen raten, man muss wissen, was einem gut tut und das auch machen. Ich habe mal mit einer Kollegin gearbeitet, die sich furchtbare Schicksale anhören musste. Ihr hat es z.B. geholfen, zuhause erstmal die Kleidung zu wechseln. Eine andere hat erzählt, dass sie in die Innenstadt unter andere Menschen geht, mit denen sie aber nicht sprechen muss. Es ist ganz verschieden.

Teamsitzungen sind auch sehr wichtig, da helfe ich dann, Strukturen zu schaffen, dass es einen Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen gibt. Für Berater*innen, die alleine arbeiten, ist es viel schwieriger, im Team kann man auch mal Unmut rauslassen und frisst nicht alles in sich rein.

Und auch für Ehrenamtliche ist der Austausch sehr wichtig, um nicht alles allein zu verarbeiten.