Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge

Manche Klient*innen begleiten wir viele Jahre – und sie uns.

Im Januar diesen Jahres sitzen eine Mutter und ihre glücklichen Kinder im Büro von Shqipe Krasniqi – Kinder- und Jugendtherapeutin bei Refugio München. Sie besprechen die weitere Zukunft der kleinen Familie: zum Beispiel wie die junge Mutter künftig Kinderbetreuung und Beruf unter einen Hut bringt. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder nennen wir sie hier Fatima.

Fatima ist eine Klientin, die mehrere Jahre von uns betreut wurde, weil es sehr viele Probleme zu lösen galt. Die meisten unserer Klient*innen sind nur ungefähr ein bis zwei Jahre bei uns. 2018 kam Fatima zu Refugio München, sie hatte bereits mehrere Suizidversuche und Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich. Trotz ihrer schwerwiegenden psychischen Erkrankung gab es für sie aufgrund ihres noch laufenden Asylverfahrens nur bei uns eine Chance auf eine Behandlung. Anfangs waren die Termine geprägt von starker Trauer und Verzweiflung, Albträumen und Angstzuständen. Wieso soll ich leben, ich will nicht mehr leben, ich bin verrückt, meine Kinder können bei einer verrückten Mutter auch nicht leben“. Das waren ihre Gedanken.

Fatima ist mit elf Jahren zwangsverheiratet und daraufhin von ihrem „Ehemann“ immer wieder vergewaltigt worden. Die beiden älteren Frauen des Mannes haben sie außerdem geschlagen, gedemütigt und wie eine Sklavin behandelt. Die beiden Kinder, die sie daraufhin bekommen hat, liebt sie aber sehr. Mit 17 flieht sie, die beiden Kinder nimmt sie mit – zunächst. Fatima landet auf der Flucht in Libyen und dort wie so viele in einem der Folter- und Vergewaltigungslager. Sie war aber so geistesgegenwärtig, ihre Kinder vorher bei einer Verwandten in Sicherheit zu bringen. Der jungen Mutter gelang dann zwar die Flucht aus Libyen und nach Deutschland, aber leider hatte sie keine Chance mehr, die Kinder zu holen.

„Erst nach über einem Jahr hat sie von ihren Kindern erzählt. Zunächst von einem Kind und dann vom anderen. Sie hat uns getestet und als sie gemerkt hat, dass nichts Schlimmes passiert, hat sie Vertrauen gefasst. Sie hat gesagt, eine Frau, die so jung Kinder hat, hat das Leben verloren.“, erzählt die betreuende Sozialpädagogin Jutta Schmid-Melms.

Shqipe Krasniqi ergänzt: „In den ersten eineinhalb Jahren kam es während den Therapiesitzungen immer wieder zu Situationen, in denen Fatima geistig abwesend war und später nicht mehr wusste, was sie gesagt oder gedacht hat. Immer wieder flackerten Ängste auf, zum Beispiel bei lauten Geräuschen. Sie machte einen erschöpften, unglücklichen und entkräfteten Eindruck. Sie vergaß oft welches Datum, Tag oder Jahr wir hatten.“

Fatima im Termin mit Shqipe Krasniqi, noch zu Corona-Zeiten.
Fatima im Termin mit Shqipe Krasniqi, noch zu Corona-Zeiten.
Eine Karte von Fatima, nachdem sie ihre Kinder endlich in die Arme schließen konnte.
Eine Karte von Fatima, nachdem sie ihre Kinder endlich in die Arme schließen konnte.

Für Fatima waren zunächst stabilisierende Maßnahmen wichtig, sie musste sich sicher fühlen und Sitzungen in guter Verfassung beenden können. Erst nach einiger Zeit war sie so stabil, dass sie sich mit Ihrer Vergangenheit auseinandersetzen konnte. Sie hatte sowohl irrationale Ängste als auch eine große Scham, dass sie in so jungen Jahren zwei Kinder bekommen hatte, die sie dann auch noch zurücklassen musste. Zudem gab sie sich selbst die Schuld, dass sie vergewaltigt und schwanger wurde. Aber nach einiger Zeit bei uns wurde Fatima selbstbewusster, eigenständig und hat angefangen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Soweit, dass sie die Schule und eine Ausbildung als Pflegekraft erfolgreich gemeistert hat.

Jetzt kam die nächste große Herausforderung: Fatima war stabil und wollte ihre Kinder nach Deutschland holen. Der Familie, in der die Kinder in Afrika geblieben waren, hatte sie seit ihrer Ankunft in Deutschland jeden Monat Geld überwiesen. Anfang 2022, nachdem sie den Aufenthaltstitel hatte, haben wir gemeinsam den Antrag auf Familienzusammenführung gestellt: Der erneute Anfang eines mühsamen Prozesses, denn nur durch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht haben die Kinder zwei Jahre später Visa zur Einreise nach Deutschland bekommen. Auch durch diese zwei schweren Jahre haben wir Fatima begleitet und sie in Krisensitzungen stabilisiert, wenn ihre Kraft zu schwinden drohte.

Und jetzt sitzen wir hier mit der kleinen Familie, die endlich die Chance auf eine gemeinsame und hoffnungsvolle Zukunft hat. Wir werden Fatima noch eine Weile begleiten bis auch ihre Kinder hier sicher und stabil angekommen sind. Und dann werden wir uns irgendwann mit einem lachenden und auch einem etwas weinenden Auge verabschieden.