Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Elterntraining – Eltern aktiv
Jahresbericht 2022

Für Mütter und Väter mit Flucht- und Migrationserfahrung bietet Refugio München muttersprachliche Elterntrainings in mehr als 30 Sprachen an. Eltern aktiv setzt auf die Stabilisierung von Familien durch Stärkung der Eltern.

 

Als Yulia Gollmann-Günthert im Februar 2022 den Lehrgang zur Elterntrainerin bei Refugio München begann, ahnte sie nicht, wie schnell sie gebraucht werden würde. Nur wenige Tage nach dem Start ihres Lehrgangs griff Russland die Ukraine an. Von heute auf morgen kamen tausende Menschen aus der Ukraine nach München, darunter viele Familien und alleinerziehende Mütter.

Sie ist seit September 2022 im Team des muttersprachlichen Elterntrainings und als russischsprachige Trainerin tätig. „Als ich meine Arbeit startete, hatte ich fast ausschließlich mit Müttern zu tun,“ erinnert sie sich. Diese fühlten sich erschöpft, verloren und hatten Angst um ihre in der Ukraine verbliebenen Männer und weiteren Angehörigen. Die Belastung der Familien war sehr groß. Viele Frauen weinten in den Gesprächen. In einer Krisensituation infolge eines Krieges ist das körperliche und geistige Wohlbefinden bedroht. Das hat Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern.

Die Ressourcen zur Bewältigung des Alltags sind in solchen Situationen überschritten oder unzureichend. Die bisherigen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien der Eltern reichen in einer Krisensituation wie Krieg und Exil meistens nicht aus, und der Stress kann über Monate anhalten. Deshalb war uns im Elterntraining wichtig, den Müttern aufzuzeigen, wie sie mit Belastungen umgehen können und für sich und ihre Kinder gut sorgen können. So kurz nach der Flucht war das Ziel des Elterntrainings, die Mütter zu stabilisieren. Denn die eigene Selbstfürsorge hat Auswirkungen auf das Erziehungsverhalten.

Schnell war klar: die Familien können auf absehbare Zeit nicht in ihre Heimat zurückkehren. Das bedeutet: Die Kinder werden die nächsten Jahre in Deutschland verbringen und müssen sich im Kindergarten und im deutschen Schulsystem zurechtfinden. Dort lernen sie dann einen Erziehungsstil kennen, den sie aus der Ukraine so nicht gewöhnt sind. „Die Erziehung in der Ukraine ist strenger und leistungsbezogener als in Deutschland,“ weiß Yulia Gollmann-Günthert.

Nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern mussten sich an die für sie neuen Lebensumstände gewöhnen. Auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen und sie schulisch zu unterstützen ist für die Mütter mit wenig Ressourcen herausfordernd, erklärt Yulia Gollmann-Günthert. Die Elterntrainerin nimmt sich die Zeit, im Rahmen des Elterntrainings die Fragen der Eltern zu beantworten und auf ihre Sorgen einzugehen. Dass sie fließend ihre Muttersprache spricht, erleichtert die Kommunikation ungemein.

Der Lehrgang zur Elterntrainerin umfasst acht Wochenenden. Themenschwerpunkte sind z.B. die Reflexion der Fluchterfahrung, der Umgang mit Konflikten, Selbstfürsorge, Mediennutzung. Mit Hilfe des sogenannten Dialogischen Pendelns reflektieren die Eltern, welche kulturellen Werte und Normen der Herkunftskultur sie behalten möchten und wo es Veränderungen und Anpassungen an die hiesige Gesellschaft benötigt. Nach Abschluss des Lehrgangs hat Yulia Gollmann-Günthert im letzten Jahr zunächst eine alleinstehende Mutter aus der Ukraine mit zwei Schulkindern begleitet. Die Kinder mussten schnell Deutsch lernen und gleichzeitig das anspruchsvolle Online-Programm ihrer ukrainischen Schule durchlaufen. Das waren anstrengende, lange Tage. „Natürlich vermissen die Kinder ihre Väter und machen sich große Sorgen.“ Yulia Gollmann-Günthert ermutigt die Mütter, offen, aber altersgerecht mit ihren Kindern über ihre Gefühle zu sprechen, ihnen zuzuhören und ihre Ängste ernst zu nehmen. Gleichzeitig hat sie in der Ausbildung gelernt, wie wichtig es ist, dass Eltern ihren Kindern Strukturen geben und Grenzen setzen. Mit Hilfe von Rollenspielen und anderen Methoden trainiert sie die Eltern, sich auf neue Situationen einzustellen und an der Beziehung zu ihren Kindern zu arbeiten. Das Feedback der Familien, die das Elterntraining durchlaufen haben, ist äußerst positiv. Das freut Yulia Gollmann-Günthert: „Wenn die Menschen merken, dass ich sie verstehe, sind sie erstmal erleichtert und vertrauen sich mir an.“

Das Team von Eltern aktiv unterstützt Eltern mit Flucht- und Migrationserfahrung in Zusammenarbeit mit Honorarkräften in über 30 Sprachen.