Ein Ort der Zuversicht

Jahresbericht 2021
Außenstelle Landshut

2021 war für Moustafa ein sehr besonderes Jahr. Er fand das wieder, was er schon fast verloren geglaubt hatte: seine Familie. Eine Geschichte mit Happy End aus der Refugio München Außenstelle in Landshut.

Das Büro von Refugio München in Landshut liegt sehr zentral ganz in der Nähe der Altstadt, unterhalb der Landshuter Burg. Das Büro ist einladend und hell. Ein Ort zum Ankommen und Durchatmen. Moustafa fühlt sich an diesem Ort direkt wohl, als er vor 1,5 Jahren zum ersten Mal herkommt. Seitdem war er oft hier. Heute lebt der junge Mann aus Sierra Leone in Bremen. Doch immer noch hält er per Smartphone Kontakt zum Team von Refugio München in Landshut.

Moustafas Geschichte ist die vieler geflüchteter Menschen aus Subsahara Afrika. Im Heimatland Sierra Leone wurde er politisch verfolgt, gefangen genommen und dann gefoltert. Als sich für ihn und seine Familie eine Möglichkeit zur Flucht auftut, ergreift er sie. In überfüllten Bussen und Lastwagen fahren Mutter, Vater und die zwei Kinder tausende Kilometer durch diverse afrikanische Länder. Der gefährlichste Teil kommt in Libyen, von wo aus die Boote nach Europa starten. In Libyen werden Moustafa und seine Frau überfallen und schwer misshandelt. Als Moustafa eines Tages nach längerer Bewusstlosigkeit auf der Straße erwacht, sitzt seine kleine Tochter neben ihm. Seine Frau und der kleine Sohn sind verschwunden. Wochenlang sucht Moustafa nach den beiden. Erfolglos.

In Libyen gibt es keine Lebensgrundlage für Moustafa und seine Tochter. Als sich nach einigen Monaten die Möglichkeit zur Weiterreise Richtung Europa ergibt, entscheidet er sich, zu gehen. Die gefährliche Flucht übers Mittelmeer gelingt und über diverse Umwege gelangt Moustafa mit seiner Tochter nach Deutschland in eine bayerische Stadt: nach Landshut. Moustafa hat Glück: Eine Sozialarbeiterin in der Gemeinschaftsunterkunft bemerkt die starke psychische Belastung bei Vater und Tochter und meldet die beiden zu einem Erstgespräch bei Refugio München in Landshut an.

Gerade im ländlichen Bereich sind Therapieplätze knapp. Geflüchtete, die vom Team in Landshut Hilfe bekommen, haben eine gute Chance auf Zukunft.

Beide bekommen einen Therapieplatz. Vor allem beim jungen Mädchen gestaltet sich die Therapie schwierig. „Lange Zeit hat sie kein Wort mit uns gesprochen“, erinnert sich Peter Engelmeier, Kinder- und Jugendtherapeut, der die Kleine behandelte. Wir haben dann häufig in den Therapiestunden zusammen gemalt. Dadurch konnte sie sich ohne Worte ausdrücken und langsam Vertrauen aufbauen. Der erste Satz, den das Mädchen dann irgendwann spricht, ist: „Möchte, dass die Mama da ist.“ Die Therapie dauert lange und wirkt. Das Mädchen spricht, isst, äußert Gefühle, findet sich im Leben in Deutschland zurecht und entwickelt Hobbies.

Auch dem Vater geht es zusehends besser. Doch der Verlust von Frau und Sohn wiegen immer noch schwer. 2020 entscheidet er sich, einen weiteren, den vielleicht letzten Versuch zu starten, um seine Frau und seinen Sohn wiederzufinden. Mit der Unterstützung des Refugio Teams kontaktiert er das Internationale Roten Kreuz und schaltet eine Vermisstenanzeige für seine Frau und seinen Sohn. „Wir haben ihn bei seiner Suche unterstützt, so gut wir konnten. Und gleichzeitig haben wir ihm auch erklärt, dass die Chancen bei solch einer Suche eher gering sind,“ sagt Julia Kuhlmey rückblickend. Sie leitet die Außenstelle von Refugio München in Landshut.

Monatelang passiert nichts. Dann an einem Tag im Februar des letzten Jahres erreicht Moustafa ein Anruf von einer Stelle des Roten Kreuzes in Bremen. Hier seien eine Frau mit Sohn aus Sierra Leone, die einen Mann mit kleiner Tochter suchen. Unfassbar, es handelt sich tatsächlich um Moustafas Frau und Sohn. Die Familie lebt! Die Freude kennt keine Grenzen.
Ein Jahr später wohnt die wieder vereinte Familie in Bremen. Die Chancen auf eine dauerhafte Bleibeperspektive sind dort höher als in Bayern. Deshalb hat Moustafa sich entschieden, eine Familienzusammenführung zu beantragen und Landshut zu verlassen. Julia Kuhlmey lächelt: „Eine absolut besondere Geschichte, die uns Zuversicht für unsere Arbeit gibt.“