Zwei Stunden Fahrtzeit für einen Therapietermin

Jahresbericht 2022
Außenstelle Landshut

Seit 2018 hat Refugio München eine Außenstelle in Landshut. Das Team versorgt geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene in einem großen Einzugsbereich in Niederbayern und muss dort mit einer sehr prekären psychosozialen Versorgungslage umgehen.

Beratung und Therapie von Geflüchteten außerhalb großer Städte sind eine ganz besondere Herausforderung. Davon kann Miriam Geiser, Psychotherapeutin bei Refugio München in Landshut, berichten.

Wie beurteilst du die psychosoziale Versorgungslage in Niederbayern?

Es gibt, wie in Deutschland generell, zu wenig Angebote und Therapieplätze. Dies gilt für Landshut und noch stärker für den ländlichen Raum. Wir bekommen Anfragen aus Regionen in Niederbayern, die bis zu zwei Stunden Fahrtzeit bedeuten für einen Therapietermin. Zum Beispiel eine Frau aus Nigeria aus einem kleinen Dorf fährt wöchentlich eineinhalb Stunden einen Weg, um die Therapiesitzung bei mir wahrnehmen zu können. Neben Therapieangeboten fehlt es auch an Beratungsangeboten und anderen Unterstützungsmöglichkeiten.

Wie empfinden deine Klient*innen das Leben in Kleinstädten und Dörfern?

Sie fühlen sich in den Dörfern oft sehr isoliert, da sie gerade durch seltene Busverbindungen Mühe haben, in größere Städte zu fahren. Gerade Menschen, die zuvor in München untergebracht waren, melden mir oft zurück, dass es nichts zu tun gibt und es sehr langweilig sei. Die Integrationsmöglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Teilweise sind gerade in den kleineren Gemeinden zum Beispiel über Fußballvereine einige Klient*innen gut vernetzt, in anderen Gemeinden wird eher von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit berichtet.

Mit welchen Krankheitsbildern kommen die Menschen zu dir?

Die meisten meiner Klient*innen leiden unter Schlafstörungen, Alpträumen, Ängsten und negativen Gedankenspiralen. Häufig werden eine Posttraumatische Belastungsstörung und auch depressive Erkrankungen diagnostiziert. Hoffnungslosigkeit, wenig Zukunftsaussichten und Angst vor Abschiebung spielen auch eine große Rolle. Sowohl die Erfahrungen in der Vergangenheit als auch die Lebenssituation in Deutschland führt immer wieder zu suizidalen Gedanken und Krisen. Zudem erlebe ich auch oft Symptome wie Stimmenhören und Halluzinationen, sodass die Anbindung an psychiatrische Versorgung wichtig ist.

Wie kann man sich deine Arbeit in den Therapiegespräche vorstellen?

Zu Beginn der Therapie geht es meistens erst einmal darum, Vertrauen aufzubauen, da der Weg nach Deutschland oft von vielen falschen Versprechungen, Täuschungen, Missbrauch und Verletzungen geprägt ist. Mir geht es dann im zweiten Schritt darum, dass die Menschen verstehen, was mit ihnen los ist. Warum kann ich nicht schlafen? Bin ich verrückt? Wird das immer so bleiben? Was kann ich machen? Ich versuche dann gemeinsam mit den Klient*innen Strategien zu erarbeiten, um mit dem Erlebten umzugehen und den Alltag besser meistern zu können. Was können sie tun, wenn sie nachts schweißgebadet von einem Alptraum aufwachen? Wie finden sie wieder in den Schlaf, obwohl sie Angst haben? Gegen Ende der Therapie mache ich meistens Termine in einem größeren Abstand, damit sich die Klient*innen langsam ohne engmaschige Betreuung in ihrem Alltag zurecht finden.

Erinnerst du dich an eine besondere Erfolgsgeschichte aus dem letzten Jahr?

Im letzten Jahr habe ich eine Frau behandelt, die aus Syrien stammt und neben ihrer Fluchtgeschichte unter einem gewalttätigen Ehemann litt. Sie hat sich von ihm getrennt. Er hat sie dann aber weiterhin bedroht. Wir haben in der Therapie viel darüber gesprochen und ihre Möglichkeiten analysiert. Schließlich hat sie anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen. Der Mann lässt sie jetzt in Ruhe und die junge Frau blüht regelrecht auf. Neulich meinte sie zu mir, sie habe bei mir gelernt, Nein zu sagen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich spüre bei ihr eine ganz neue Stärke. Das freut mich total zu sehen! Meine Arbeit ist voller kleiner und großer Erfolgsgeschichten.

In ländlichen Regionen haben die Klient*innen zum Teil noch andere Herausforderungen zu bewältigen; das Landshuter Refugio München Team unterstützt dabei mit Psychotherapie und Beratung.