Besondere Schutzbedarfe und Rechte frühzeitig erkennen

SoulCaRe – Früherkennung in der Erstaufnahme
Jahresbericht 2023

Die EU-Aufnahme- und Verfahrensrichtlinie schreibt vor, dass besonders schutzbedürftige Asylsuchende frühzeitig erkannt und ihre besonderen Bedarfe und Rechte zu berücksichtigen sind. Dazu müssen die Betroffenen erst identifiziert werden.

Zu den besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden gehören unter anderem psychisch erkrankte und/oder traumatisierte Menschen, Opfer von Folter oder Menschenhandel sowie Personen aus dem LGBTIQ* Bereich. Die Identifizierung dieser Menschen wie es die EU-Aufnahmerichtlinie vorschreibt ist eine hohe Herausforderung, da es keine offensichtlichen Vulnerabilitäten sind. Refugio München hat ein Konzept zur systematischen Identifizierung entwickelt und dazu seit 2021 ein eigenes Team in der Erstaufnahme in München. Die Psychologinnen, psychosozialen Peer-Berater*innen und Sozialpädagog*innen kümmern sich um die Kontaktaufnahme, die Diagnostik und sorgen dafür, dass bei Behörden wie der Regierung von Oberbayern oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entsprechende Maßnahmen bei der Unterbringung und im Asylverfahren ergriffen werden.

Zur Früherkennung besonders vulnerabler Asylsuchender braucht es eine hohe Fachkompetenz in der Kontaktaufnahme, in der Gesprächsführung und der fachlichen Einschätzung, um beurteilen zu können, ob jemand psychisch erkrankt ist oder einen anderen Schutzbedarf hat.

Im ersten Schritt sprechen die psychosozialen Peer-Berater*innen, die selbst Fluchterfahrung haben und viele Sprachen der häufigsten Herkunftsländer sprechen, neu angekommene Asylsuchende an. Die Erstaufnahmeeinrichtung in München hat Platz für rund 400 Personen, die dort ca. zwei bis drei Wochen bleiben. Im Jahr 2023 nahmen die Peer-Berater*innen so mit knapp 2.000 Personen Kontakt auf, um in einem ersten Gespräch die Menschen zu finden, die eventuell besondere Schutzbedarfe haben. Rund 300 Personen zeigten Kennzeichen einer Vulnerabilität und wurden zu intensiveren Gesprächen eingeladen. Wenn sich dann der Verdacht auf eine psychische Erkrankung erhärtet, können ungefähr sechs bis sieben Asylsuchende pro Woche zu einem ausführlichen Diagnostik-Gespräch eingeladen werden.

Rund 200 besonders schutzbedürftige Personen wurden so im Jahr 2023 in der Erstaufnahme in München identifiziert. Die realistische Zahl dürfte höher sein, da wir aufgrund knapper Kapazitäten nicht alle zur Diagnostik oder einem tiefer gehenden Beratungsgespräch einladen können oder Betroffene schon weiter verlegt wurden, bevor sie einen Termin mit den Psycholog*innen oder Sozialarbeiter*innen hatten. Für diese Menschen bieten wir zumindest online Informationen über Beratungsstellen und ihre Rechte an.

Ein neuer Schwerpunkt für das Team lag im vergangenen Jahr bei der Kontaktaufnahme zu Personen aus der Gruppe LGBTIQ*. Mit Unterstützung und Beratung durch eine Fachfrau des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) haben wir den Zugang für diesen Personenkreis verbessert. Außerdem haben wir Kontakte zu Fachberatungen in München aufgenommen, runde Tische und einen guten Austausch etabliert.

Auch Opfer von Menschenhandel geben ihre schrecklichen Erfahrungen nicht einfach und schnell preis. Trotzdem hat das SoulCaRe Team inzwischen viel Erfahrung und Erfolg damit, schnell Vertrauen aufzubauen und auf Kennzeichen zu achten, die Hinweise auf Menschenhandel geben. Das können zum Beispiel hohe Schulden sein, die durch Zwangsarbeit oder Prostitution abgegolten werden müssen.

Unser Konzept der Früherkennung funktioniert im Rahmen der begrenzten Kapazitäten gut. Behörden wie die Regierung von Oberbayern und das BAMF sind inzwischen auch bereit, entsprechende Maßnahmen zur Berücksichtigung zu ergreifen und Vorschläge des Refugio München Teams anzunehmen. Auch in unserem Behandlungszentrum können wir mehr psychisch erkrankte Geflüchtete früher behandeln; was ein nachhaltiger Gewinn nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Aufnahmegesellschaft ist. Wir wünschen uns eine Verbreitung des Konzepts der Früherkennung bayern- oder sogar bundesweit – bislang gibt es eine Umsetzung in Geldersheim durch das Partnerprojekt SoulTalk und Pläne in Zirndorf sowie in Augsburg mit der Außenstelle von Refugio München.

Das Team von SoulCaRe