Mehr Chancen, egal welcher Pass

„…man sollte allen mehr Chancen geben und ihnen nicht immer Steine in den Weg legen…“

In der Refugio Kunstwerkstatt sammeln sich viele interessante und tolle junge Persönlichkeiten. Umso schöner ist es, wenn sich ihre Aktivitäten in die ganze Gesellschaft hinein entwickeln – zu gemeinsamen Chancen für uns alle!

Arif Haidary ist ein wahres Energiewunder. Er ist 2015 als unbegleiteter Minderjähriger aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Heute, acht Jahre später, hat er eine Ausbildung als Mediengestalter abgeschlossen und die Meisterschule für Fotografie besucht. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Münchner Migrationsbeirats; politisch aktiv; er gibt Selbstverteidigungskurse und ist deutscher Meister sowie Vize-Europameister in Karate; er ist ehrenamtlich bei der Tafel; bei der IG Jugend im Vorstand; inzwischen auch deutscher Staatsbürger und im Fotoworkshop der Refugio Kunstwerkstatt aktiv.

Arif Haidary, Mediengestalter, Fotograf und vor allem engagiert für und in der Stadt München. (Foto: Tina Müller)

Arif, Du bist 2015 als 15jähriger ohne Eltern nach Deutschland gekommen, was war dein erster Eindruck?

Es war eine komplett andere Welt, als ich am Hauptbahnhof in München angekommen bin. Ich hatte total Angst, denn als wir aus dem Zug ausstiegen, waren wir zum ersten Mal sichtbar. Vorher waren wir immer nachts unterwegs, weil wir Angst vor Festnahmen und Abschiebung hatten. Der ganze Weg war nur Angst, das war krass. Ich habe dann eineinhalb Jahre in einem Gebäude gelebt, das eigentlich abgerissen werden sollte, das war eine ganz schlimme Zeit. Die Unterkunft war für 1.500 Leute, die sanitären Anlagen waren eine Katastrophe, wir waren zu siebt im Zimmer. Danach war ich ein Jahr in einer anderen Unterkunft auch für über tausend Menschen. Da hatten wir Bettwanzen, es gab keine Privatsphäre, die Security konnte Tag und Nacht jederzeit in die Zimmer kommen.

Arif wurde trotz Geburtsurkunde, die seinen Jahrgang 1999 ausweist, als volljährig eingestuft und musste daher in einer Unterkunft für Erwachsene leben. Seine Geburtsurkunde wurde erst vier Monate vor seinem 18. Geburtstag vor Gericht anerkannt.

Du bist inzwischen weit gekommen, was hat dir geholfen, hier anzukommen?

Ich bin allen Ehrenamtlichen, die mir damals geholfen haben, sehr dankbar. Ohne Hilfe wäre ich nie so weit gekommen. Die Refugio Kunstwerkstatt habe ich durch Kino Asyl kennengelernt und dann auch den Fotoworkshop. Das ist ein sehr cooler Ort mit coolen Projekten, ein Ort zum zwischenmenschlichen Austausch. Wenn ich einen Rat brauche, dann helfen mir Verena (Anm.d.R.: Verena Wilkesmann leitet die Refugio Kunstwerkstatt) oder andere dort immer weiter. Das hat mir auch bei meiner Meisterausbildung viel geholfen. Ich hatte meine Fotos schon auf Ausstellungen, dabei hat mich die Refugio Kunstwerkstatt auch unterstützt.

Die Hackerbrücke in München ist ein beliebter Ort für Jugendliche, um den Abend ausklingen zu lassen – hier von Arif fotografisch eingefangen.
(Fotos: Arif Haidary | Instagram art_arif)

 

Als 2021 die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, hast du es geschafft, deine Familie nach Deutschland zu holen. Wie ging das?

Meine Geschwister waren 2021 sechs Monate im Keller versteckt, obwohl wir eine Zusage vom Auswärtigen Amt hatten, dass sie nach Deutschland dürfen. Mein Vater war Journalist mit einer eigenen Zeitung und deshalb waren alle in Gefahr.  Ich habe sie dann über die Kabul Luftbrücke (Anm.d.R.: ein Zusammenschluss von Aktivist*innen, die auf private Initiative gefährdete Menschen aus Afghanistan retten) rausbekommen. Zu der Zeit habe ich Tage und Nächte nicht geschlafen, bis ich sie hier am Flughafen empfangen konnte.

Was glaubst du brauchen Menschen, die hier ankommen und furchtbare Erlebnisse hinter sich haben?

Besonders für Kinder und Frauen ist die Flucht sehr schwer, man muss ihnen Schutzräume ermöglichen und sie mehr unterstützen. Therapie ist auch sehr wichtig, ich habe die letzten acht Jahre gut durchgehalten, aber das schafft nicht jeder. Man muss den Menschen Therapie ermöglichen. Das sieht man auch an den geflüchteten Kindern, die sich in der Schule nicht konzentrieren können. In den Unterkünften kann man nicht leben und viele Familien leben da viele Jahre. Die Kinder verbringen ihre ganze Kindheit da unter sehr schlimmen Bedingungen. Da spricht keiner von Kinderschutz, Jugendschutz oder Menschenrechten. Dass die staatliche finanzielle Förderung von Beratungsstellen oder Therapie jetzt gekürzt wird, ist furchtbar.

Was wünscht du dir?

Ich wünsche mir, dass wir in einer friedlichen Welt leben und alle gleich behandelt werden, dass niemand mehr sagt „du hast den falschen Pass“. Viele sagen ich bin ein Vorzeigebeispiel, aber es gibt Tausende wie mich, man sollte allen mehr Chancen geben und ihnen nicht immer Steine in den Weg legen.

Danke, lieber Arif für das Gespräch und dein Engagement!