In kürzester Zeit

140 Patient*innen in sechs Monaten: das Mental Health Center Ukraine

Seit Mai 2022 gibt es das Refugio München Mental Health Center Ukraine (MHCU). Und in den ersten sechs Monaten hat das Team bereits 140 Patient*innen – Kinder und Erwachsene – mit erster psychosozialer Akutversorgung geholfen. Ksenia Paniukova, Psychologin aus dem MHCU Team erzählt uns, was das Team in kürzester Zeit erreicht hat:

Menschen erleben Traumata auf unterschiedliche Weise. Einige ziehen sich zurück und brauchen viel Ruhe, während andere sich aktiv engagieren, um ebenfalls Betroffenen bei der Bewältigung der Krise zu helfen. Ich gehöre zu den Letzteren. Anfang März, 48 Stunden nach einer anstrengenden Reise von Kyiv nach München, kam ich zum ukrainischen Kulturzentrum GOROD, um mich dort als Ehrenamtliche zu melden.

Das Gespräch mit der Vertreterin dort war kurz und knapp. „Was sind Sie von Beruf?“, fragte sie nach meiner leidenschaftlichen Rede, dass ich jeden Job annehmen würde. „Psychologin“, antwortete ich. „Dann müssen Sie zum Büro 1.07“, sagte sie und zeigte mir die Richtung.

Damals war mir noch nicht klar, dass dies der Wendepunkt meines Lebens war. Das kleine Büro 1.07 war von da an mit drei Psychologinnen besetzt: Evgeniia Podurova, Zhanna Samsoniuk und ich. Tagtäglich von 10 bis 21 Uhr empfingen wir Kinder, Jugendliche, Frauen und Freiwillige aus der Ukraine. Wir arbeiteten ehrenamtlich Schicht für Schicht und boten individuelle Krisenberatungen an. 

Gleichzeitig entwickelte Refugio München Angebote für Geflüchtete aus der Ukraine unter der Leitung der ukrainisch-sprachigen Psychologin Jewgenija Korman: kunsttherapeutische Kindergruppen und Psychoedukationsgruppen, sowie Workshops der Refugio Kunstwerkstatt für Kinder und Jugendliche.

Malen hilft den Kindern, ihre Erlebnisse zu verarbeiten.
Das Team des Refugio München Mental Health Center Ukraine*
Selbst gebastelte und bemalte Häuschen bieten Schutz in der neuen Umgebung.

 

Als Refugio München von unserer Arbeit erfuhr, boten sie uns an, für das neue Projekt MHCU zu arbeiten. Das war die perfekte Kombination: das psychosoziale Behandlungszentrum hat bereits 28 Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten aus der ganzen Welt und wir betreuen zusammen mit GOROD ganz viele Geflüchtete aus der Ukraine in München.

Verstärkt wurde das Team durch den Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Dr. Guido Terlinden, die Projektleiterin Andrea Gebhardt, Kinderpsychologin Maria Heller, Psychologin Jewgenija Korman, Sozialarbeiterin Mara Janisch und Übersetzerin Maria Suprun.

In der Ukraine sagt man, Schicksal und eine gute Tat können Glück bringen und Türen öffnen. Dem kann ich nur beipflichten. Unser Projekt wird vom Gesundheitsreferat der Stadt München, dem Bezirk Niederbayern und der Aktion Deutschland Hilft zusammen mit dem Paritätischen unterstützt, das GOROD-Kulturzentrum hilft uns bei der Weiterleitung unserer Angebote in digitaler Form und die Grünen vermieten uns schöne Büroräume in der Innenstadt.

Seit Mai hat das MHCU-Projekt mehr als 140 Personen aus der Ukraine erreicht, die zu Krisenberatungen und Einzelpsychotherapie zu uns kommen oder an therapeutischen Gruppenangeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene teilnehmen. Das Projekt liegt uns am Herzen.

Manchmal wird es für uns aber auch emotional schwierig, besonders wenn wir schlechte Nachrichten aus der Ukraine erhalten oder unsere Verwandten und Freunde dort vermissen. Aber die Dankbarkeit der Patient*innen des MHCU, die sich nach schweren Erlebnissen und dem Wunsch zu sterben doch für das Leben entschieden haben, motiviert uns. Durch die Fürsorglichkeit des Refugio München Teams haben wir das nötige Sicherheitsgefühl, die Kraft und den Wunsch, unsere Arbeit weiterhin gut zu machen.

Text: Ksenia Paniukova
Übersetzung: Maria Suprun

 

Valerija

Die 17-jährige Abiturientin Valerija aus der Ukraine wird ihr Abitur dieses Jahr nicht machen können, ihr Traum, ein Medizinstudium zu beginnen, ist zerplatzt. Die Gastfamilie in München hat Valerija beim MHCU angemeldet, sie mussten bereits mehrfach einen Krankenwagen rufen, weil das Mädchen kollabiert ist und nicht mehr ansprechbar war. In der Sprechstunde des MHCU erklären die Psychologinnen der jungen Patientin, was in dieser Situation mit ihrem Körper passiert: dass Angst sich nicht ins Unendliche steigert, dass es sich jedoch so anfühlt. Die starken Symptome wie erhöhter Pulsschlag, Zittern oder Schwitzen bewirken das Gefühl von Kontrollverlust und Panik, dadurch kann es zu Todesängsten kommen. Genau das passiert bei Valerija und sie ist erleichtert, als ihr erklärt wird, dass sie in den Angstattacken nicht sterben wird. Zusammen mit den Mitarbeiterinnen des MHCU schreibt sie eine „Kraftspruch“ auf, der ihr Mut machen soll und in den Angstzuständen helfen kann. Außerdem bekommt sie einen Fingermassagering, um das Bewusstsein vom Druck im Brustbereich weg zur Hand zu lenken und so wieder ruhiger zu werden. Valerija geht es jetzt deutlich besser, durch das Wissen und die Beratung ist sie in der Lage, ihre Ängste zu regulieren und damit sich selbst zu helfen.