Fachgespräch
Die Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Heike Baumann-Conford von Refugio München ist ständiger Gast in der Kommission Menschenrechte und Migration der bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Dr. Mathias Wendeborn ist der Vorsitzende der Kommission und Menschenrechtsbeauftragter der bayerischen Landesärztekammer. Mit Refugio München Geschäftsführer Jürgen Soyer haben sie über die Aufgaben der Kommission gesprochen und was sie bewirken kann.
Jürgen Soyer: Herr Dr. Wendeborn, warum braucht es eine Kommission für Menschenrechte und Migration in der BLÄK?
Dr. Wendeborn: Gesundheit ist ein Menschenrecht und auch ein politisches Thema. Als Kommission befassen wir uns unter anderem mit der Gesundheitsversorgung von Geflüchteten oder Menschen, die nicht versichert sind oder keinen adäquaten Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
Jürgen Soyer: Wie kam es, dass Dr. Heike Baumann-Conford ständiger Gast in der Kommission ist?
Dr. Wendeborn: Die Kommission ist eine Art Antenne für die Ärztekammer und Input direkt aus der Praxis ist sehr wertvoll. In den vergangenen Jahren stand etwa bei manchen Abschiebungen der Verdacht im Raum, dass das Menschenrecht auf Gesundheit verletzt worden sein könnte. Auch kommt es immer wieder vor, dass ärztliche Gutachten von den Behörden nicht im Asylverfahren berücksichtigt werden, da die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellten formellen Anforderungen kaum zu erfüllen sind. Auf Empfehlung der Kommission hat das Präsidium der BLÄK sich daraufhin mit Asylbehörden und politischen Entscheidungsträgern in Verbindung gesetzt und um Auskunft zu diesen Fällen gebeten.
Jürgen Soyer: Heike, werden Menschenrechte im Asylbereich verletzt?
Dr. Baumann-Conford: Bei Geflüchteten ist der Zugang zur Regelversorgung in den ersten 18 Monaten erschwert, so bleiben psychische Erkrankungen oft unbehandelt. Außerdem müssen Sachbearbeiter*innen ohne medizinische Kenntnisse in Behörden Behandlungen genehmigen. Das kann sehr demütigend für die Antragsteller*innen sein. Eine fehlende Behandlung führt oft dazu, dass die Erkrankung im Asylverfahren nicht geltend gemacht wird. Z.B. sexuell traumatisierte Männer und Frauen können oft ohne Therapie nicht über ihre Erlebnisse sprechen, das wird vom BAMF zu wenig berücksichtigt.
Dazu kommt, dass Anträge auf Erstattung von Dolmetscherkosten sehr aufwendig sind und ohne Dolmetscher eine korrekte Behandlung manchmal fast unmöglich ist.
Jürgen Soyer: Was ist dein Anliegen?
Dr. Baumann-Conford: Eines meiner Anliegen in der Kommission ist, dass es mehr Ärzt*innen gibt, die traumatisierte Geflüchtete behandeln. Komplex traumatisierte Menschen sind häufig nicht in der Lage, zusammenhängend zu erzählen. Mein Wunsch wäre, dass es mehr Fortbildungen für Ärzt*innen dafür gibt. Und es sollten regelmäßig Fortbildungen zur Begutachtung traumatisierter Geflüchteter von den Landesärztekammern angeboten werden.
Dr. Wendeborn: Es besteht ein hoher Bedarf an Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie in Bayern. Um diesen in den kommenden Jahren adäquat zu decken, ist aus meiner Sicht eine deutliche Erhöhung der Medizinstudienplätze im Freistaat notwendig.
Darüber hinaus: Die Bayerische Landesärztekammer führt in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Baden-Württemberg immer wieder Seminare zum Thema „Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren“ durch. Diese Fortbildung wendet sich primär an Ärzte und psychologische Psychotherapeuten, die Kenntnisse in den Grundlagen der Psychotraumatologie inklusive Differenzialdiagnostik besitzen oder vertiefen wollen. 2022 soll das Seminar unter der Ägide der Ärztekammer Baden-Württemberg stattfinden. Ein Problem bei diesen Fortbildungen ist, dass immer wieder die Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht wird.
Jürgen Soyer: Welchen Einfluss hat die Kommission auf einzelne Ärztinnen und Ärzte?
Dr. Wendeborn: Ärzte müssen immer als oberstes Gebot im Sinne des Patienten handeln – so steht es auch im ärztlichen Gelöbnis der Deklaration von Genf des Weltärztebundes. Ärzte sind ihrem Gewissen verantwortlich und müssen ethisch handeln. Wenn Ärzte oder Betroffene Menschenrechte verletzt sehen, können sie sich an uns wenden.
Dr. Baumann-Conford: Im Idealfall ist unethisch das Gleiche wie unärztlich. Z.B. ist die Abschiebung eines traumatisierten Patienten aus dem Krankenhaus heraus unärztlich und damit auch unethisch.