Ein Hilferuf

Wir brauchen mehr Therapieplätze!

Noch nie waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht. Viele von ihnen sind traumatisiert. Laut Studien (Steel et al., 2009; Lindert et al., 2019) sind mindestens 30 Prozent der geflüchteten Erwachsenen von depressiven Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen, bei Kindern und Jugendlichen dürfte die Zahl noch höher sein.

 

Im Oktober und im März finden in der Regel die Anmeldewochen für erwachsene Geflüchtete bei Refugio München statt. Meistens melden Sozialdienste an, manchmal Ehrenamtliche oder Anwält*innen, sie wissen, dass wir nur sehr begrenzt Therapieplätze zur Verfügung haben und melden uns nur die Menschen, denen es am schlechtesten geht. Die Spitze des Eisberges.

Und dennoch können wir von diesen Anmeldungen nur rund ein Viertel aufnehmen und müssen aus Kapazitätsgründen viele ablehnen.  Die Personen, die wir aufnehmen, erhalten Therapie, soziale Beratung und bei Bedarf arbeiten wir mit Dolmetscher*innen. Und es ist nach den schwierigen Anmeldewochen eine Wohltat zu sehen, wie Therapie und Beratung wirken. Nicht immer sofort und schon gar nicht einfach. Es braucht sehr viel Fachwissen, Zuwendung und Engagement, aber die allermeisten Klient*innen können sich irgendwann von den Mitarbeiter*innen verabschieden und sehen einem guten Lebensweg entgegen. Ihre Zukunft wird auch weiterhin nicht immer einfach sein, aber sie sehen wieder einen Weg nach vorne, weg von der Vergangenheit.

Wir brauchen mehr Therapieplätze, damit Hilfe keine Frage des Glücks ist.

Doch die allermeisten traumatisierten Geflüchteten haben eben keinen Zugang zu Therapie und psychosozialer Versorgung. Unser Dachverband der psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folteropfer hat errechnet, dass deutschlandweit nur 4,6 Prozent der Asylsuchenden, die potenziell eine Psychotherapie oder psychosoziale Hilfe benötigen, diese auch bekommen (BAfF · Psychosozialer Versorgungsbericht Deutschland 2022). Wir brauchen mehr Therapieplätze, damit Hilfe keine Frage des Glücks ist.

Geflüchtete Kinder und Jugendliche bekommen bei Refugio München in der Regel sofort einen Termin für ein Erstgespräch, ihnen wollen wir keine zusätzliche Wartezeit durch einschränkende Anmeldewochen zumuten. Denn gerade bei Kindern ist die schnelle Hilfe so wichtig. Und gerade bei Kindern wirkt schnelle Hilfe so effektiv. Für ein Kind kann ein halbes Jahr entscheidend für die spätere Entwicklung sein. Ein halbes Jahr Therapie oder ein halbes Jahr ohne Hilfe macht unter Umständen den Unterschied, ob ein Kind die Schule besuchen kann, ob es Freund*innen findet, ob es deutsch lernt, ein Hobby hat. Die Therapie macht den Unterschied, ob ein Kind ins Leben findet. Da können wir nicht warten. Aber um das leisten zu können, brauchen wir auch für Kinder und Jugendliche mehr Therapieplätze.

Mehrere Stunden Anfahrt, um eine Therapie zu machen

Refugio München ist das einzige größere psychosoziale Behandlungs- und Beratungszentrum für Geflüchtete in Bayern. Zusätzlich zu München haben wir noch eine Außenstelle in Landshut und eine in Augsburg. Wir kennen Menschen, die mehrere Stunden Anfahrt in Kauf nehmen würden, um bei uns eine Therapie zu machen. Auch ihnen würden wir gerne helfen. Aber dazu brauchen wir mehr Therapieplätze für Geflüchtete außerhalb Münchens.

Wir erleben immer wieder, dass vor allem Asylsuchende, die auf Unterkünfte weiter weg von München verteilt werden, dort völlig auf sich allein gestellt sind. Sie haben meist keine psychosoziale Unterstützung, keine*n Psychiater*in, um nötige Medikamente zu bekommen und eine Therapie ist völlig illusorisch. Unser Team in der Erstaufnahme identifiziert im Früherkennungsprojekt SoulCaRe bereits vor der oberbayernweiten Verteilung die Geflüchteten, denen es psychisch besonders schlecht geht. Sie bemühen sich dann, dass die Betroffenen in einer Unterkunft in München oder nahe München untergebracht werden. Dann können sie zu Refugio München in die Therapie kommen. Das klappt leider nicht immer und auch diese Therapieplätze sind bei uns sehr rar. Aber wenn es uns gelingt und wir jemanden so früh nach der Ankunft in Deutschland in Therapie aufnehmen können, dann sind die Fortschritte dieser Menschen beeindruckend: Sie erholen sich, wenn sie in eine geeignete Unterkunft kommen. Sie stabilisieren sich psychisch, wenn sie schnell psychosoziale Hilfe bekommen. Sie können durch Therapie die Vergangenheit verarbeiten und sich der Zukunft zuwenden. Sie werden gesund.

Wir sehen wie wirksam die Therapie für bereits erkrankte Menschen ist und wie gut vor allem frühzeitige Hilfe wirkt. Wir wollen mehr traumatisierte Geflüchtete versorgen und dazu brauchen wir mehr Therapieplätze.

Die psychosoziale Versorgungslage ist eine Katastrophe. Auch bei Refugio München müssen wir ca. drei Viertel der Anmeldungen ablehnen. Was müsste sich verbessern, damit mehr Geflüchteten geholfen werden kann? Und wie gehen die Mitarbeiter*innen bei Refugio München mit der Situation um. Warum bei allen Herausforderungen das Positive der Hilfe überwiegt, erzählen Birke Siebenbürger, Leitung des Fachbereichs Psychotherapie und Sozialberatung für Kinder und Jugendliche, Katrin Kammerlander-Straub, Psychotherapeutin für Erwachsene und Shobha Zaudie, Psychotherapeutin in Landshut ganz persönlich in einem Online Gespräch, hier können Sie die Aufzeichnung als Video sehen:

Zur Aufzeichnung

 

Fotos: Stephanie Uhlenbrock und Max Kratzer mit der Refugio Kunstwerkstatt | Business-Portraits Andreas J. Focke