Signale des Aufbruchs

Gastbeitrag von Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF (Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer) im März 2022

Der Angriffskrieg Russlands auf Ukraine lässt uns mit Entsetzen erstarren. Die Solidarität und der eingeleitete Wandel im Umgang mit verbrecherischen Regimen gibt zugleich Hoffnung, dass wir nicht ohnmächtig gegenüber der Bedrohung von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit sind. Dieses Bewusstsein prägt die Arbeit der Psychosozialen Zentren (PSZ) für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht und ihren Alltag, um Menschen in der Not zu helfen, ihnen Räume der Anerkennung und der Sicherheit zu geben und sie zu stärken.

Die neue Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP setzt dabei wichtige Impulse, die ein Signal des Aufbruchs in einen neuen Umgang mit traumatisierten Überlebenden sein können. Drei dieser Impulse möchte ich hier skizzieren.

Verstetigung der psychosozialen Hilfe für geflüchtete Menschen

Geflüchtete Menschen sind in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht regulär krankenversichert. Die Gesundheitsversorgung erfolgt in dieser Zeit nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), das heißt die Menschen können nur bei akuten Schmerzen zum Arzt. Einen großen Teil der Versorgung psychisch belasteter Menschen übernehmen in dieser Zeit die Psychosozialen Zentren. Die momentan unzureichende Finanzierung der PSZ führt dazu, dass nur ein Bruchteil der behandlungsbedürftigen Überlebenden psychosoziale Unterstützung finden. 2019 haben rund 25.000 Betroffene die Leistungen der PSZ wahrnehmen können, der Bedarf liegt aber deutlich höher: Nach Schätzungen könnten etwa 500.000 Geflüchtete einen Bedarf an psychosozialer Begleitung haben. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die psychosoziale Hilfe für geflüchtete Menschen zu verstetigen, was aus unserer Sicht die nachhaltige und langfristige Finanzierung der PSZ beinhalten muss.

Vulnerable Gruppen sollen von Anfang an identifiziert und besonders unterstützt werden

Der Impuls der Bundesregierung im Koalitionsvertrag, besonders Schutzbedürftige frühzeitig zu identifizieren und in die psychosoziale Versorgung zu bringen, muss aus unserer Sicht die Verstetigung psychosozialer Hilfe für geflüchtete Menschen bedeuten. Derzeit bleibt die besondere Situation von traumatisierten und anderen besonders vulnerablen Geflüchteten während der Aufnahme und des Asylverfahrens zumeist unerkannt. Seitens des Bundes wurde bislang kein einheitliches, richtlinienkonformes und aus fachlicher Sicht bedarfsgerechtes Konzept zur Identifizierung vulnerabler Asylsuchender erstellt. Wir fordern daher ein bundeseinheitliches Rahmenkonzept und damit eine vollständige Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie. Im Rahmen des vom BMFSFJ geförderten Pilotprojektes BeSAFE zeigen wir bereits Wege der Identifizierung und Überführung in Versorgungsstrukturen auf.

Lukas Welz ist seit Juni 2021 Geschäftsleiter der BAfF. Im Bundesverband der Psychosozialen Zentren für Überlebende von Folter, Krieg und Flucht organisieren sich derzeit 47 Mitgliedszentren, darunter auch Refugio München. Neben der politischen Arbeit versteht sich die BAfF als Kompetenzzentrum und wirkt im internationalen Kontext, darunter auch in Ukraine, Belarus und auf dem Balkan.

 

Sprachmittlung im Kontext medizinischer Behandlung

Menschen mit Fluchterfahrung sind oft schwer belastet oder traumatisiert. Um trotzdem eine Therapie beginnen und die Erlebnisse verarbeiten zu können, braucht es den rechtlichen Anspruch auf Sprachmittlung. Ohne Sprachmittlung ist die psychosoziale Arbeit mit geflüchteten Menschen häufig nicht möglich, da die meisten Betroffenen keine ausreichenden Deutschkenntnisse und die meisten Therapeut*innen keine ausreichenden Kenntnisse der Sprachen der Betroffenen haben. Der Koalitionsvertrag will nun erstmals den Anspruch auf Sprachmittlung bei notwendiger medizinischer Behandlung gesetzlich im SGB V (Bestimmungen zur gesetzlichen Krankenversicherung) verankern. Aber viele der Betroffenen, die Hilfe in den PSZ erfahren, können aufgrund ihres Asylstatus nicht von einer Lösung über das SGB V profitieren. Unser politisches Engagement zielt darauf, diesen wichtigen Impuls für die Betroffenen und die PSZ wirksam zu machen.

Die aktuelle Situation großer Zuflucht und Solidarität innerhalb Europas begleitet zeitlich diese Impulse der neuen Bundesregierung. Die Hoffnung bleibt, dass diese Entwicklungen zu einem Umdenken zugunsten eines humanitären Umgangs mit Menschen auf der Flucht gegenüber einer restriktiven, menschenverachtenden Politik der Abschottung und der Priorität der Menschenrechte vor Wirtschaftsinteressen führen.