Wenn Schlafen zum Problem wird

Jahresbericht 2020
Forschungsabteilung

Über 90 Prozent unserer Klient*innen kämpfen mit Schlafstörungen in mittlerem oder schweren Ausmaß. In unserem neuen Forschungsprojekt STARS entwickeln wir von der Forschungsabteilung ein eigenes Manual, das etablierte Forschungs-Ansätze in der Schlaftherapie um Erkenntnisse aus der Behandlung geflüchteter Menschen ergänzt.

Beim Einschlafen kämpfen viele unserer Klient*innen mit der Angst vor einer Abschiebung oder machen sich Sorgen um ihre Familie im Heimatland. Bei einigen Klient*innen sind die Schlafstörungen mit schweren traumatischen Erlebnissen verbunden. Sie fürchten sich regelrecht davor einzuschlafen, denn im Schlaf haben sie das Gefühl, die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Viele erwachen regelmäßig durchgeschwitzt, mit Herzrasen und Atemnot aus schrecklichen Alpträumen, in denen sie traumatische Erlebnisse wiedererleben. Viele berichten zudem, dass sie im Schlaf um Hilfe schreien oder nur mit voller Beleuchtung schlafen können. Dadurch bekommen sie zusätzlich Probleme mit den Mitbewohner*innen ihrer Gemeinschaftsunterkunft, die ebenfalls wach werden. Nicht selten lässt die Unterbringungssituation wenig Handlungsspielraum, mit den nächtlichen Belastungen umzugehen.

BildSTARS

All das stellt eine große Herausforderung für die Behandlung von Schlafstörungen geflüchteter Menschen dar, die in gängigen Manualen zur Therapie von Schlafstörungen nicht berücksichtigt werden. „Diese Probleme gehen meistens über die Schlafprobleme der hiesigen Bevölkerung hinaus,“ sagt Britta Dumser. Sie leitet das Forschungsprojekt STARS, das wir im Jahr 2020 gestartet haben. Die Abkürzung steht für „Sleep Training Adapted for Refugees“ (Schlaf-Training angepasst für Geflüchtete). Ziel des Projekts ist es, etablierte Forschungs-Ansätze in der Schlaftherapie mit unserer langjährigen Erfahrung in der Behandlung Geflüchteter zu ergänzen.

Unsere Forschungsabteilung, die das Projekt durchführt, besteht seit 2018. Forschung bei Refugio München ist „Forschung im Feld“, immer ausgerichtet an den Bedürfnissen und Interessen der Geflüchteten. Unser Anspruch ist die Kombination hoher wissenschaftlicher Standards und maximaler praktischer Relevanz. „Wir möchten Dinge erforschen, die unseren Klient*innen direkt helfen und gleichzeitig auch die Wissenschaft weiterbringen,“ sagt Britta Dumser.

Im vergangenen Jahr haben wir viel Vorarbeit für die Durchführung des Projekts geleistet. Zunächst arbeiteten wir Manuale aus der psychotherapeutischen Schlafbehandlung durch und griffen uns die Aspekte heraus, die sich sinnvoll auf den Kontext unserer Klient*innen anwenden lassen. Wir ergänzten sie um spezielle Einflussfaktoren unserer Klient*innen: die Schlafumgebung, kulturelle Aspekte, die unsichere Bleibeperspektive. Die erste Version unseres eigenen Manuals stellten wir im Herbst 2020 fertig und starteten dann mit einer ersten Pilotgruppe für das Projekt. In zehn Gruppensitzungen besprachen die sechs Teilnehmenden jedes Mal eine andere schlafrelevante Thematik: Z.B. Grübelprozesse, die räumliche Schlafsituation oder kulturelle Aspekte des Schlafens. Unser Forschungsteam dokumentiert die Ergebnisse der Gruppensitzungen. Die Teilnehmenden erhalten in jeder Stunde praktische Übungen, um ihre Schlafsituation zu verbessern.

Eindrücke von Teilnehmern unserer Pilot-Gruppe:

In meiner Zeit in Serbien hatte ich dann viele Alpträume. Ich habe nachts oft laut geschrien. Wir waren viele im Lager und ich durfte nicht stören oder auffallen. Ich habe deshalb alles gemacht, um wach zu bleiben.

 Während der Flucht konnte ich oft nachts nicht schlafen, weil wir um diese Zeit weitergehen oder uns verstecken mussten.

Mit dem Lockdown und der Situation jetzt im Camp habe ich den ganzen Tag nichts zu tun. Ich bin den ganzen Tag im Bett. Nach dem Frühstück nehme ich 2 Schlaftabletten, um etwas zu schlafen und nicht den ganzen Tag zu grübeln. Nachts schlafe ich bis ca. 4:30 Uhr nicht.

Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren positiv. Sie nutzen die erlernten Methoden im Alltag. Ein Teilnehmer gibt zum Beispiel an, vor dem Einschlafen nun immer einen 30-minütigen „Cooldown“ zu machen. Das bedeutet zum Beispiel, dass er dann nicht mehr am Handy spielt oder mit der Familie in der Heimat telefoniert, was ihn emotional aufwühlt. Ein anderer Teilnehmer hat sich um sein Bett herum Bilder von Deutschland und München aufgehängt. Wenn er nachts durch einen Albtraum wach wird, schaltet er das Licht an und sieht sofort: Ich bin in Sicherheit.

In den kommenden 2 Jahren sollen weitere 48 Teilnehmende die Gruppensitzungen durchlaufen. Im Anschluss werden wir unsere Ergebnisse und das Manual veröffentlichen sowie auf Konferenzen und in Workshops vorstellen. Auf diese Weise können auch andere Therapeut*innen unser Manual in der Praxis verwenden. Denn das Interesse an dem gesammelten Wissen ist groß.