Facheinrichtung und Menschenrechtsorganisation

Jahresbericht 2021
Politische Arbeit

Kaum ein Thema wie die Aufnahme, Versorgung und Integration von Geflüchteten haben Politik und Zivilgesellschaft in den letzten Jahren so bewegt und zu so aufgeladenen Diskussionen geführt. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns als Facheinrichtung. Und da medizinische Versorgung ein Menschenrecht ist, verstehen wir uns auch als Menschenrechtsorganisation.

Wenn wir sehen, dass das Recht psychisch erkrankter Geflüchteter auf ein faires Asylverfahren durch Asylgesetze verletzt wird, dann müssen wir dazu Stellung beziehen und uns als Menschenrechtsorganisation dafür einsetzen, dass solche Gesetze geändert werden. Im Artikel zur ärztlichen Arbeit hatten wir bereits die Problematik der Stellungnahmen für psychisch erkrankte Geflüchtete im Asylverfahren beschrieben. Richtig brisant wurde dieses Thema durch die Asylrechtsverschärfungen der letzten Regierung. Gemeinsam mit der Dachorganisation der psychosozialen Zentren für Geflüchtete BAfF arbeiten wir daran, dass Stellungnahmen von psychologischen Psychotherapeut*innen über die schweren Erkrankungen Geflüchteter wieder im Asylverfahren berücksichtigt werden.

Wenn wir in unserer jahrelangen Arbeit feststellen, dass sehr viele traumatisierte Geflüchtete oft erst nach Jahren psychosoziale Behandlung erhalten; wenn wir feststellen, dass sie in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund ihrer Traumatisierung nicht dazu in der Lage waren, über das Erlebte zu berichten und deshalb abgelehnt wurden, dann müssen wir uns dafür einsetzen, dass es eine strukturierte Früherkennung traumatisierter und psychisch erkrankter Geflüchteter gibt. Das ist eine staatliche Aufgabe, gesetzlich vorgeschrieben in der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013. Eine bloße Identifizierung vulnerabler Geflüchteter reicht aber nicht aus – es braucht auch eine Berücksichtigung ihrer besonderen Bedarfe bei der Unterbringung und im Asylverfahren. Um hier eine Verbesserung zu erreichen, haben wir SoulCaRe, die Früherkennung in der Erstaufnahme in München aufgebaut: Ein Projekt mit politischem Impact, das Kooperationsarbeit mit dem bayerischen Innenministerium, der Regierung von Oberbayern und dem BAMF erfordert hat. Dieses Projekt stellen wir auch in diesem Jahresbericht vor – die ersten Ergebnisse einer Evaluation zeigen, dass wir hier erhebliche Verbesserungen für die Geflüchteten erreichen konnten.

Wenn wir in jedem Anmeldezeitraum für freie Psychotherapieplätze feststellen, dass wir bis zu drei Viertel der anmeldenden Personen ablehnen müssen, weil wir leider keine ausreichenden Kapazitäten für diese schwer kranken und traumatisierten Menschen haben, dann setzen wir uns für mehr Behandlungsplätze ein. Geflüchtete benötigen einen besseren Zugang zu psychosozialer Beratung und Behandlung. Dazu müssen Einschränkungen von medizinischen Leistungen und Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft und die psychosozialen Zentren mehr unterstützt werden. Die Therapie von traumatisierten Geflüchteten bedarf zusätzlich zur Behandlung durch Therapeut*innen auch der Unterstützung von sozialer Arbeit und einer Sprachmittlung. Das muss finanziert und ermöglicht werden. Die BAfF schätzt, dass nur knapp sechs Prozent aller Geflüchteten, die eine Psychotherapie bräuchten, versorgt werden können. Damit wird den allermeisten der Zugang zu dringend benötigter medizinscher Versorgung verwehrt, das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und dem Recht auf Rehabilitation nach der UN-Antifolterkonvention. Auch hier wollen wir Einfluss auf politisch Verantwortliche nehmen, um eine bessere Versorgung der Geflüchteten zu bewirken.

Das sind drei der politischen Herausforderungen, die die fachliche Arbeit von Refugio München beeinflussen und für die wir uns in der Pflicht sehen, politisch aktiv zu werden. Wir sprechen dazu mit Bundestagsabgeordneten, mit Landtagsabgeordneten, mit Amtsträger*innen, mit Behörden und mit politisch Verantwortlichen. Die politische Arbeit ist keine kurzfristige Arbeit, sie ist auf die Zukunft ausgerichtet und Erfolge brauchen oft ihre Zeit. Das Beispiel SoulCaRe zeigt, dass wir Erfolge und damit eine Verbesserung im Sinne unserer Klient*innen und anderer traumatisierter und psychisch erkrankter Geflüchteter erreichen.