„Gelingende Integration merkt man nicht“

Interview mit Alexander Putz, Oberbürgermeister von Landshut

Unsere Außenstelle Refugio München in Landshut muss ein weites Einzugsgebiet abdecken und mit einer schwierigen Versorgungslage für Geflüchtete umgehen können. Mit dem Landshuter Oberbürgermeister Alexander Putz haben wir über die besonderen Herausforderungen für eine kleinere Stadt wie Landshut bei der Unterstützung von Geflüchteten gesprochen.

Herr Putz, Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine hierher, zugleich kommen nach wie vor viele andere Asylsuchende. Wie ist die Situation in und um Landshut?

Seit Beginn des schrecklichen Angriffskrieges auf die Ukraine sind rund 1.100 Menschen (Anm.: Stand Dezember 2022) aus der Ukraine nach Landshut gekommen, darunter überwiegend Frauen und Kinder. Die exakte Zahl ist schwierig zu beziffern, weil viele Betroffene privat wohnen. Natürlich stellt uns diese Situation vor Herausforderungen, aber wir haben uns der Aufgabe engagiert angenommen. Wir haben ein Erstaufnahmezentrum, außerdem wurde ein Verwaltungsgebäude zur Unterkunft umgebaut, in der ungefähr 200 Menschen aus der Ukraine untergebracht sind. Wie bereits erwähnt, wohnen sehr viele Geflüchtete aus der Ukraine privat. Das kann ein Problem werden, weil sie dort nicht für immer bleiben können. Wir haben allerdings nicht genug Wohnraum. Denn Landshut ist eine der am stärksten wachsenden Kommunen in Deutschland – da ist der Druck auf dem Wohnungsmarkt enorm.

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Oberbürgermeister der Stadt Landshut Alexander Putz

Aber das sind nur die nackten Zahlen: Wenn man in Kontakt kommt mit den Menschen und die dann von ihrem Schicksal erzählen, geht mir das schon an die Nieren. Wenn der Vater zum Beispiel in den Krieg ziehen musste und seine Familie nicht weiß, ob er noch am Leben ist. Solche Fälle gehen mir schon sehr nahe. Wir stehen außerdem wieder vor einem verstärkten Zuzug von Flüchtenden aus anderen Herkunftsregionen, die bislang allerdings noch in Ankereinrichtungen untergebracht sind. Wie alle Kommunen wurden auch wir vom Ministerium aufgefordert, weitere Kapazitäten zu schaffen. Derzeit prüfen wir, wo wir Unterkünfte einrichten können, wobei die Standortsuche durchaus eine Herausforderung ist. Denn irgendwen stört eine solche Unterkunft immer. Darüber hinaus stellt sich schließlich folgende Frage: Was passiert mit geflüchteten Menschen, die schon länger da sind? Auch in Landshut gibt es viele Schutzsuchende, die schon seit 2015 und 2016 hier sind – und die weiterhin Unterstützung brauchen.

Welche „amtlichen“ Angebote gibt es in Landshut für Menschen, die hier ankommen?

Ich glaube, insgesamt geht es nur in der Zusammenarbeit zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Angeboten. Es kann nur funktionieren, wenn alle zusammenhelfen: Also private Initiativen wie zum Beispiel das Haus International, wo auch viele Ehrenamtliche mithelfen, oder das Netzwerk Integration und eben auch Refugio München in Landshut. Eine Verwaltung alleine kann eine solche Aufgabe nicht bewältigen.

In der Stadtverwaltung Landshut haben wir 2017 ein Amt für Migration und Integration eingerichtet. Dort arbeiten Expertinnen und Experten für Beratungsangebote, sie unterstützen zum Beispiel bei Behördengängen und organisieren Dolmetscher. Das können wir auf Verwaltungsebene leisten. Es gibt auch seit vielen Jahren einen Integrationsbeirat in Landshut, der als Interessensvertretung und Sprachrohr für Menschen unterschiedlicher Herkunft gegenüber Politik und Verwaltung fungiert. Die Mitglieder dieses Beirats sind ehrenamtlich tätig. Klar ist: Ohne die hervorragende Unterstützung von ehrenamtlichen Initiativen würde Integration nicht funktionieren.

Daneben ist häufig die Unterstützung der Zivilbevölkerung eine wichtige Integrationshilfe für Geflüchtete. Wie sieht es da im Raum Landshut aus?

Ich kann es nur nochmals betonen: Das Ehrenamt ist eine unglaublich wichtige Unterstützung – ein Stützpfeiler der Gesellschaft. Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung werden immer mehr, die Finanzmittel aber nicht. Deshalb brauchen wir diese Unterstützung. Man erlebt auch immer, dass Menschen, die sich engagieren, einen ganz anderen Zugang haben: Sie sind Integrationsbotschafter in beide Richtungen. Auch bei der Ukraine-Hilfe erlebe ich hoch motivierte, begeisterte Zusammenarbeit von ganz unterschiedlichen Menschen. Ich sehe auch, dass das für viele erfüllend ist, insofern ist das eine Win-Win-Situation.

Wie sehen Sie den Beitrag von Refugio München in Landshut für die Stadtgesellschaft und zur Integration?

Refugio München beschäftigt sich ja vor allem mit Menschen, die durch ihre Fluchtgeschichte traumatisiert sind und psychosoziale Unterstützung brauchen. Wenn niemand da wäre, der sich um die Betroffenen und ihre Schwierigkeiten kümmert, wäre das problematisch für die gesamte Gesellschaft und letztlich für den sozialen Frieden in unserem Land. Wahrscheinlich haben wir aber noch immer zu wenig Anlaufstellen: Die Wartezeiten für psychotherapeutische Angebote sind leider generell zu lang. Insofern sind die Angebote von Refugio München unglaublich wichtig für Geflüchtete.

Gerade im ländlichen Bereich sind Therapieplätze knapp. Geflüchtete, die vom Team in Landshut Hilfe bekommen, haben eine gute Chance auf Zukunft.

 

Wie könnte die Situation für Geflüchtete, die psychosoziale Beratung oder Behandlung brauchen, in und um Landshut verbessert werden?

Insgesamt steigt der Bedarf. Es ist auch wichtig, dass Menschen, die Probleme haben, psychosoziale Unterstützung in Anspruch nehmen können, egal wo sie herkommen. Es muss uns als Gesellschaft gelingen, Krisen zu bewältigen. Aber wir haben insgesamt zu wenig Angebote mit gut ausgebildeten Expertinnen und Experten, da spielt auch der Fachkräftemangel eine Rolle. Die Klammer zur Integration ist, dass wir Zuwanderung ermöglichen und die, die hier sind, bestmöglich integrieren, damit sie ihren Teil zur Gesellschaft beitragen können. Das gehört zu einem erfüllten Leben dazu.

Herr Putz, Sie selbst stammen aus Österreich. Wie sieht für Sie gelungene Integration aus?

Als Österreicher hatte ich natürlich nie das Gefühl, bei der Integration in Bayern auf große Probleme zu stoßen. Der frühere österreichische Bundeskanzler Kreisky hat es so ausgedrückt:  „Schau‘n Sie, ich fahre so gern nach Bayern – da bin ich nämlich noch nicht in Deutschland und nicht mehr in Österreich!“

Aber ernsthaft: Eigentlich bedeutet gelungene Integration, dass man sich nicht mehr Gedanken macht, wo jemand herkommt. Wo Integration gelingt, bemerkt man sie gar nicht. Man nimmt beim Thema Integration oft nur die Probleme wahr, die Erfolge werden leider zu oft übersehen. Ich zucke immer zusammen, wenn jemand Toleranz einfordert. „Tolerieren“ bedeutet ja „erdulden“ oder „ertragen“. Das klingt für mich von oben herab, denn wenn mich nichts stört, muss ich nichts ertragen. Gelungene Integration heißt für mich deshalb Akzeptanz und Selbstverständlichkeit, über die gar nicht mehr diskutiert werden muss.

Herzlichen Dank, Herr Putz, für das Gespräch!

Vielen Dank für Ihre wichtige Arbeit und Ihren Beitrag zu unserer Stadtgesellschaft. Alles Gute!

            

Refugio München in Landshut: Psychosoziale Versorgung für Geflüchtete in und für Niederbayern.
Die Beratung und Therapie von Geflüchteten außerhalb großer Städte sind nochmal eine ganz besondere Herausforderung! 
Bereits 2008 hat Refugio München in enger Kooperation mit dem Haus International ein kleines therapeutisches Angebot in Landshut etabliert. Aufgrund des hohen Bedarfs an psychosozialer Unterstützung für geflüchtete Menschen wurde 2018 daraus ein eigenes Behandlungszentrum: Refugio München in Landshut.
Mit einem interdisziplinären Team bestehend aus Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und einer Verwaltungskraft (alle in Teilzeit) bieten wir psychosoziale Beratung, Therapie und Gruppenangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Fluchterfahrung an. Unsere Klient*innen kommen jeweils zur Hälfte aus Stadt und Landkreis Landshut, Anmeldungen bekommen wir aber aus ganz Niederbayern. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind in der Außenstelle Landshut oft lang, weil wir bei Weitem mehr Anmeldungen bekommen, als wir Kapazitäten haben. Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen aber dringend zeitnah professionelle Unterstützung, um schwerwiegende und langwierige Chronifizierungen ihrer Traumafolgestörungen zu verhindern.
Der Bedarf an psychosozialer Unterstützung für Geflüchtete im Landshuter Raum ist sehr hoch – wie überall. Wir kennen viele Geflüchtete, die mehrere Stunden Anfahrt in Kauf nehmen, um bei Refugio München eine Therapie machen zu können. Im ländlichen Raum wird das durch eine häufig schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und die hohen Kosten dafür erschwert. Mithilfe von Spenden können wir wenigstens die Fahrtkosten übernehmen. Doch um mehr Menschen mit psychosozialer Beratung und Therapie zu helfen, benötigen wir auf lange Sicht – neben Spenden – die Aufgeschlossenheit und Unterstützung der Politik, der Stadtgesellschaft und der Verwaltung.